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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

uns allzwei beide miteinand? Und für dich ist er am Ende gar nicht einmal angegangen worden!“

„Mir wär’s schon bald einerlei“, brummte der Ferge und stieß das Ruder so heftig ins Wasser, daß der Kahn einen Ruck that und der Klacherl sich noch mit Mühe am Bord festhalten konnte, um nicht überzukippen.

„Man soll ihn nicht an die Wand malen!“ lachte er gixend.

Als sie am andern Ufer waren, blieb der Klacherl hocken auf seinem Brett.

„Na, wird’s?“ sagte der Ferge und bedeutete seinem Passagier, auszusteigen.

Der andere blieb noch immer sitzen, fuhr mit den dürren Händen in seinen Taschen umher – er hatte sie nicht an Stellen, Wo andere sie haben – und fing an, leise zu singen: „Kleingeld hab’ ich keins im Sack …“

„Das weiß ich. Schau, daß du weiterkommst!“

„Wenn du mir wechseln wolltest?“ sagte der Klacherl und zog aus dem Lappen eine Banknote hervor.

Der Meinhardt erschrak fast. Ein Fünfzigguldenschein war’s. Dann fragte er – und die Stimme gab keinen Klang: „Woher hast du den?“

Nun rückte der Klacherl sich auf dem Brette zurecht, als hätte er die Absicht, noch lange in diesem Nachen sitzen zu bleiben; dann hielt er mit beiden Händen das Papier auf, als sei es ein Bild, das man betrachten müsse.

„Woher hast du es?“ fragte der Ferge schärfer.

„Das da? Den da? Denke dir, schöner Wassermann, diesen kaiser-königlichen Reisepaß – weißt du, den hab’ ich von – von –. Na, alter Freund, ich will dich doch lieber anlügen!“

„Das kann ich mir denken, mit der Wahrheit bist du nie verheiratet gewesen!“

„Das schon. Einmal schon. Hab’ mich aber scheiden lassen. ’s ist halt so, die Wahrheit glaubt man unsereinem nicht – alsdann greift man nach und nach zu ’was anderm. – Den da? Wo ich ihn her hab’? Lachen muß ich. Probieren wir’s einmal. Jetzt schau, Meinhardt, heut’ hast du mich herübergeholt. Diesen Fünfziger aber hat mir einer geschickt, dafür, daß ich dich hinüberholen soll.“

„Geschwätz, dummes!“ knurrte der Ferge.

„Also, das glaubst du mir nicht. Na, so wird mir das Trumm Geld halt wer geschenkt haben!“

„Wahrscheinlich!“ lachte der Meinhardt auf.

„Oder ich hab’s gefunden?“

„Sicherlich! Bevor es einer verloren hat!“

„Also auch das nicht. Nachher weiß ich nicht, was wir machen. Kann’s denn nicht auch einmal etwas ganz Unglaubliches geben? Kann ich mir das Geld nicht verdient haben?“

Der Ferge sprang von seinem Sitze auf vor Entrüstung, daß der Vagabund ihm eine solche Mär zu glauben zumutete. Der Klacherl zog ihn wieder aufs Brett. „Mein lieber Freund,“ sagte er, „der Spaß hat immer einmal eine Kehrsumseite, so wie die kleine Klumserkathel, du kennst sie eh, die schaut von hinten aus wie ein junges Dirndl und von vorn wie ein altes Weib. Du wirst höllisch große Augen machen, Kamerad, vor dem alten Weib, das bei meinem Spaß auf der Kehrsumseite dran ist. Es wird zwar schon finster, aber wir zwei müssen heut’ noch lang’ miteinander reden. Hast Zeit? Versäumst zu Haus?“

„Oh nein,“ antwortete der Ferge zerstreut. Es that fast wohl, daß der Schwätzer ihm die bitteren Empfindungen einlullte.

„Also, Meinhardt,“ fuhr der Klacherl fort, „ich hab’ dich angelogen und du hast nichts geglaubt. Das ist ganz in Ordnung. Fürs erste: ich hab’ mein Lebtag viel probiert, aber verdient hab’ ich mir noch wenig. Beim Wegschuttführen bin ich krank worden, beim Bauarbeiten bin ich durchgegangen, beim Erzgraben hat mich der Aufseher verjagt. Das war mein Glück, sonst hätt’ ich mich noch weiß Gott wie lang’ schinden müssen bei der dummen Arbeit. – Fürs zweite: ich bettle alle Leut’ an, immer einmal giebt’s einen Kreuzer, immer einmal ein Stückel Brot, immer einmal eine Auszeichnung mit dem Stiefelabsatz, aber so ein Pflaster, wie das da, hat mir noch keiner geschenkt. – Fürs dritte: suchen thu’ ich immerfort, hab’ mein Glück schon überall gesucht. Die Straßen sind mit Schotter und Dreck gepflastert, aber nicht mit Banknoten. So ein Pflaster, sagt der Wegmacher, thäten die Handwerksburschen aufreißen!“

Der Kahn war am Pflock befestigt worden und schaukelte leicht die beiden Männer, die drin saßen. Der Meinhardt starrte in die Wellen, an denen das Abendrot in allerlei Gestalten zuckte, in Schlangen, in Blitzen und Zacken, in lodernden Herzen und Blutlachen …

Da zog der Klacherl seine Mütze über die Ohren nieder und klapperte mit den ausgedörrten Stiefeln auf den Dielen des Kahnes. Dann that er einen liefen Atemzug und sagte: „Ja, mein lieber Kapitän, so geht’s! – Daß du mich heut’ herübergeholt hast, ist doch gut gewesen. Sonst könnten wir jetzt nicht so gemütlich beisammensitzen. Du magst mich zwar nicht, obschon wir auf der Schulbank gut Freund gewesen sind. Da könnt’ der Kösten-Klacherl freilich lang’ laufen, bis er einen einholen thät, der ihn mag! – Aber schau, Meinhardt, ich wollte dir ja was sagen. Du hast mir die Lügen nicht geglaubt, jetzt die Wahrheit wirst du mir noch viel weniger glauben wollen. Wie ich zum Geld gekommen bin? Soll ich dir was erzählen? Versäumst zu Haus?“

Diese Frage zum zweitenmal schien dem Fergen nicht ganz unabsichtlich zu sein. Nun dachte er: Jetzt ist sie sicherlich allein im Hause. Sie soll nur warten auf mich. Vielleicht fällt’s ihr ein, daß einem Ueberführer beim Wasser auch einmal was geschehen könnte. Ein bissel Angst mag ihr nicht schaden.

„Na also, Admiral, soll ich?“

Da fuhr er ihn an: „Weißt was, so red’ nicht lang’ um und sag’s!“

Sie blieben sitzen im schaukelnden Kahn. Am Himmel blinkten schon Sterne und der Fluß, der am Tage so still dahinzuwogen schien, rauschte jetzt. Aber ganz dumpf, so daß man den Klacherl wohl verstehen konnte, so leise er auch sprach.

„Du weißt, wo ich jetzt logier’,“ so hub er an. „Unter der Moosbachwand im Rehhüttel. Gewiß auch noch, wo der Jäger im Winter das Heu hat zum Rehfüttern. Jetzt im Sommer ist die Wohnung frei, so bin ich eingezogen. Daß ich einen Platz hab’ für meinen Buckelkorb; alleweil kann ihn der Mensch nicht auf dem Buckel tragen, sonst möcht’ er am End’ anwachsen. Und denk dir, gestern abends, wie ich heimkomm’ vom Tagwerk – auf der Schwaigeralm bin ich gewesen betteln, weil dort die Weiberleut’ noch Religion und Buttermilch haben – wie ich also heimkomm’, find’ ich was in meinem Korb. So ein kleines Pakel, in ein rotes Schnupftüchel gewickelt. Deuxel, denk ich mir anfangs, wer schenkt denn mir eine Tabakspfeife! Es ist aber was anderes gewesen. Rate einmal, Schiffskapitän, was es gewesen ist! Willst nicht? Nachher sag’ ich dir’s auch so. Ein Revolverl ist’s gewesen, ein sechsläufiges! Bumfest geladen alle sechs, und extra noch ein Dutzend Patronen in der Schachtel. Hau, denk ich, soll das eine Anspielung sein? – Wenn du nicht glaubst, Ferge, so greif’! Da drinnen hab’ ich das Instrumentel!“ – Er schlug die Jacke auseinander, so daß durch das zerrissene Unterfutter der lose niederhängende Sack hervortrat, in welchem ein schweres Ding pendelte.

„Jetzt, mein lieber Meinhardt, sitzen wir noch ganz gemütlich beisammen,“ fuhr der Vagabund in zärtlich singendem Tone fort, „wenn’s nur anhält! Du bist als gebildeter Mensch sicherlich nervös. Nachher wird’s bald ein Wetter geben!“

„Geh, geh, Klacherl, thu’ dich nicht so auseinander!“ sagte der Ferge lachend. „Daß man sich etwa fürchten soll vor dir! Deine Kurasch’ kenne ich von der Schulzeit her!“

„Du, wer weiß!“ spitzte der andere auf. „Von hinten! Und wenn einer dafür gezahlt wird! Du mußt mich ausreden lassen. Wie ich die Patronenschachtel untersuch’, ob nicht doch etwan auch was Brauchbares drinnen wär’, ist ein Briefel vorhanden, ein gut zusammengelegtes, und ist die Banknote da! – Erschrocken bin ich dir nicht schlecht. Im Eisenwerk beim Zahlmeister hab’ ich einmal so einen gesehen, danach hab’ ich ihn erkannt, den gnädigen Herrn Fünfziger. Und jetzt die Schenkungsurkunde. Bin neugierig gewesen, was auf dem Briefel steht. Bist du’s nicht auch? Nicht? Sollst aber doch. Steht auch von dir was drin. Schau, ich bin ein ordentlicher Mensch und hab’s bei mir!“

Er suchte eine Weile in seinen Taschen, und schon glaubte er, sein Eigenlob zurücknehmen zu müssen, da hatte er’s. – „Licht, wenn du hättest. Ein Ferge soll immer die Latern’ mithaben, weil man nie wissen kann, ob nicht bei der Nacht ein wichtiger Brief zu lesen ist.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0210.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2020)