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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Das Gefecht bei Eckernförde am 5. April 1849.
Nach der gleichzeitigen Lithographie von Wilh. Heuer im Verlag von Ch. Fuchs (Inh. A. Macarez) in Hamburg.




Didiers Braut.
Novelle von A. Noël.
(Schluß.)


In den nächsten Tagen schwirrten allerlei Gerüchte in der Luft herum. Vermutungen, die sich mit dem Schicksal Marguérites beschäftigten, tauchten auf. Es hieß, daß die Damen Perraul ihr das Haus abkaufen wollten, damit sie von Metz fortkönne und nichts sie mehr da zurückhalte. Allein die Damen Perraul erklärten Detlev, der sie darum befragte, dies sei ein Gerede und ihr Vermögen viel zu gering, um ihnen den Ankauf zu gestatten. Was Marguérite betraf, so würde sie unzweifelhaft mit Frau Morel nach Nancy gehen. Was sollte sie sonst wohl thun?

Drüben in dem düsteren Hofzimmer, wo Madame Dormans gestorben war, wurde dieselbe Angelegenheit behandelt.

„Mein Kind,“ begann Madame Morel, die fetten Händchen über dem Magen gefaltet, „es ist mir recht unangenehm, daß die Fräulein Perraul das Haus nicht zu kaufen gedenken. Das hätte die Sache sehr vereinfacht. Aber schließlich ist das kein Hindernis. Madame Joß ist doch eine vertrauenswürdige Person. Sie kann das Haus verwalten, und Didier wird auf seinen Reisen immer in Metz Station machen und nach dem Rechten sehen. Vielleicht findet sich später eine Gelegenheit, es loszuwerden. Auf jeden Fall wird es dir erwünscht sein, nicht länger hier zu bleiben, wo du dich einsam und verwaist fühlst. Alles, meine arme Marguérite, erinnert dich hier unablässig an deinen Verlust. Du kommst also zu mir. Wir werden trachten, sobald wie möglich den Hochzeitstag festzusetzen. Doch einige Zeit müssen wir immerhin noch warten. Unterdessen wirst du bei uns Trost finden, dich erholen. Blanche und Simonne freuen sich schon sehr auf dich. Die Schicklichkeit wird auch gewahrt, da ja Didier eine größere Geschäftsreise nach dem Norden antritt. Wir werden bereits heute abend daheim erwartet. Also packe deine Koffer, meine Tochter. Ich denke, du kannst noch alles erledigen.“

Dies alles sagte die würdige Dame mit großer Entschiedenheit wie jemand, der nicht gewohnt ist, Widerstand zu finden. Das Kind war es gewohnt, einer Mutter zu gehorchen, woher sollte es einen eigenen Willen haben? Madame Morel erwartete nun zuversichtlich ein Wort dankender Zustimmung von Marguérites Lippen. Statt dessen blieb das junge Mädchen eine Weile stumm, dann sagte sie sanft, aber gar nicht weniger entschieden als Frau Morel: „Ich danke Ihnen für Ihre große Güte, die Ihnen diesen Vorschlag eingiebt. Allein ich kann ihn nicht annehmen.“

„Wie?“ riefen Mutter und Sohn einstimmig. „Warum?“

„Ich verlasse das Grab meiner Mutter jetzt noch nicht, und ich verlasse diese Wohnung nicht, wo wenigstens noch ihre Spuren vorhanden sind. Ich weiß, ich finde bei Ihnen eine Familie, eine Mutter, Schwestern, aber mein Herz ist zu verwundet, um für irgend etwas empfänglich zu sein. Ich muß eine Zeit lang mir selbst leben, mit meinem Schmerz allein sein. Während des ersten Trauerhalbjahres werde ich nicht an den Altar treten. Möge die Hochzeit im Herbst stattfinden! Bis dahin bleibe ich hier.“

Während dieser Rede hatte sich Madame Morel mehrmals auf die vollen Lippen gebissen und ihrem Sohn eigentümliche Blicke zugeschleudert. Auch Didier war rot und blaß geworden vor Ueberraschung. „Hier wollen Sie bleiben, Marguérite?“ fragte er gedehnt, zärtlich vorwurfsvoll, aber lange nicht entrüstet genug. Seine Mutter warf ihm einen strafenden Blick zu. Mit beleidigter Miene und spitzer Stimme sagte sie: „Man hält einer Trauernden manches zu gute, aber auf diese Antwort war ich nicht gefaßt. Mein Kind, daran ist nicht zu denken. Du kannst hier nicht bleiben! Bedenke, du schuldest nicht nur deiner Mutter Pietät. Auch die Lebenden haben Anspruch auf ein wenig Rücksicht. Ein junges Mädchen allein!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0213.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2020)