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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

hätten mich nie geliebt. Sie haben gelernt, uns als Feinde zu betrachten, und darüber kommen Sie nicht hinaus …“

„Ich betrachte Sie nicht als Feind.“ Marguerite sagte es weich. „Allein wozu von unmöglichen Dingen reden? Auch wenn ich nicht mit Herrn Morel verlobt wäre, auch dann könnte ich nicht daran denken … O gewiß nicht! Schlagen Sie sich das alles aus dem Kopf, Herr von Bode!“

„Jawohl, ich muß es mir aus dem Kopf schlagen!“ gab Detlev nicht ohne Bitterkeit zurück. „Selbst wenn Sie keinen Bräutigam hätten, stünden noch immer berghohe Vorurteile zwischen uns.“

„Ich hege keine Vorurteile,“ entgegnete Marguerite traurig. „Dennoch könnte und wollte ich nichts thun, was meine Mutter, wenn sie lebte, nicht gutheißen würde. Darin besteht die Pietät gegen unsere Toten, daß wir ihrem Willen nachleben in ihrer Abwesenheit –“

„Und dieser Pietät würden Sie auch die Wünsche Ihres Herzens opfern?“ Detlev sprang erregt auf, sein Blick hing mit schmerzlichem Ausdruck an ihrem Gesicht.

„Ich würde es thun,“ sagte das junge Mädchen langsam. „Aber ich habe nichts zu opfern!“

„Wenn ich gewiß wüßte, daß Sie in dieser Ehe glücklich sein werden, wie gern wollte ich mich bescheiden! Aber Sie glauben das selbst nicht! In Ihrem ganzen Wesen prägt es sich aus, daß Sie nicht auf das Glück hoffen … O, Fräulein Marguerite, lachen Sie mich aus, wenn Sie wollen, aber Sie werden keine Heimat finden in diesem Nancy! Sie mit Ihrer holdseligen sinnigen Anmut, Sie passen nicht zu dem kleinen schwarzen Franzosen … Ihre ganze Natur weist Sie zu – uns!“

Er machte einige Schritte im Zimmer und sah mit zärtlicher Bekümmernis auf das junge Mädchen nieder, das bleich am Kamin lehnte. „So lange Ihre Mutter lebte, da wußte ich, es sei aussichtslos, an Sie zu denken. Aber sie, die die Bitterkeit über ihr beraubtes Leben so tief im Herzen trug, sie ist tot, und es ist unsinnig, sich den Toten zu opfern. Sie fühlen nicht wie die Mutter, nichts scheidet Sie von uns … Hören Sie auf die Stimmen in Ihrem Innern, und wenn da eine sich zu meinen Gunsten erhebt, heißen Sie sie nicht schweigen! Lauschen Sie ihr, es ist die Stimme des Glücks, Marguerite, die sich vernehmlich machen will!“

Marguerite machte eine Handbewegung. „Endigen wir diese Unterredung, Herr von Bode … Ich darf Sie nicht länger anhören, Sie sollen nicht so zu mir sprechen … Ich bin eines anderen Braut! Achten Sie meine Einsamkeit … Gehen Sie, ich bitte Sie darum!“

„Vergeben Sie mir wenigstens, ehe ich gehe. Ich wollte das alles unausgesprochen mit mir hinwegnehmen, aber es ging nicht. Verzeihen Sie mir?“

Statt zu antworten, nickte Marguerite mit dem Kopfe. Er ergriff ihre Hand, die eiskalt war, und drückte sie an seine Lippen.

„Leben Sie wohl! Seien Sie glücklich!“ murmelte er. Dann ging er, ohne sich umzusehen. –

In der neuen Wohnung fühlte sich Detlev sehr unbehaglich. Er ging umher wie einer, der seine Seele verloren hat, und die Schmidtschen Mädchen wunderten sich sehr über den melancholischen Offizier. So einen hatten sie noch nicht gehabt in der bunten Reihe ihrer Mieter.

Stefan sprach fast täglich bei Madame Joß vor und hörte da die kleinen Ereignisse des Tages. Von den Knaben des Agenten war einer auf der Treppe gestürzt, Mademoiselle Octavie Perraul hatte sich in der Kathedrale einen Schnupfen geholt, von Monsieur Morel waren ein Brief gekommen und Blumen, und Fräulein Marguerite hatte diese auf den Friedhof gebracht. Auf diese Weise erfuhr er doch etwas von ihrem Leben, und er drückte deshalb ein Auge zu, wenn Stefan, der ein entschiedener Freund von rotem Haar zu sein schien, den Weg etwas zu oft nach der Belle-Islestraße nahm.

Einige Zeit später fragte ein älterer Major im Kaffeehause Detlev, ob er mit seiner vorigen Wohnung zufrieden gewesen sei und warum er sie aufgegeben habe. Detlev gab kurzen Bescheid über die Ursache seiner Wohnungsverändernng und riet Major Pröhl, die Wohnung zu nehmen, da er gewiß zufrieden damit sein würde.

„Aber recht teuer haben Sie gewohnt, Herr Leutnant!“ meinte der Major. „Mir ist der geforderte Preis ein wenig zu hoch.“

„Wenn Sie die Wohnung mit anderen vergleichen, werden Sie das nicht finden!“ entgegnete Detlev, „doch glaube ich, daß man Ihnen vielleicht etwas vom Preise ablassen wird, wenn Sie es verlangen.“

Dies war dann auch wohl der Fall, denn Major Pröhl bezog wirklich Detlevs verlassene Wohnung. Er war ein älterer Junggeselle, der von der traditionellen Schneidigkeit des preußischen Offiziers sehr wenig abbekommen hatte. Allein trotz seines behäbigen Phlegmas im praktischen Dienst, das mit seiner Neigung zur Fülle in Verbindung stehen mochte, war der Major doch ein tüchtiger Fachmann in militärischer Theorie. Den größten Teil seiner Dienstjahre hatte er in Festungen zugebracht, er besaß eine kleine militärische Bibliothek, die hauptsächlich Werke über Festungswesen enthielt. Detlevs Interesse für das Lieblingsstudium des Majors hatte diesen schon früher auf den jungen Premierlieutenant aufmerksam gemacht. Jüngere Offiziere pflegten diese Teilnahme für Major Pröhls Steckenpferd nur zu bekunden, wenn ihnen daran lag, sich seine Gewogenheit zu sichern. Aber Bode war doch darüber hinaus. Er diente nicht in seinem Regiment. Der Major mußte also wohl voraussetzen, daß nur ein sachlicher und kein persönlicher Grund den jungen Premier bewog, allen seinen Erläuterungen ein sehr aufmerksames Ohr zu leihen. So lud er ihn denn jetzt ein, ihn zu besuchen, um seine Bibliothek zu besichtigen. Auf diese Weise war es Detlev gegönnt, manchmal das Haus zu betreten, das er so ungern verlassen hatte.

Das trauernde blonde Mädchen gewann auch dem alten Herrn großen Anteil ab. „Sollte man glauben, daß das eine Französin ist?“ sagte er zu Detlev in dem an den Exerzierplatz stoßenden Kaffeehaus, wo sie sich zu treffen pflegten. „Ich kann es gar nicht fassen! Nicht nur des Aussehens, sondern auch des Charakters halber erscheint es unglaublich. Sie ist so ernst, so betrübt, das arme Kind … Na, lang’ wird sie nicht mehr im Verborgenen blühen … Kürzlich ist der Bräutigam dagewesen … Im März kommt er wieder. Wenn ich der wäre! So ein Mädchen hätt’ ich in meiner Jugend kennen sollen. Schade, daß so ein windiger Franzose die gekapert hat!“

Ob Didier im März in der That in Metz gewesen war, erfuhr Detlev nicht. Es vergingen zwei Monate, ohne daß er von einem Besuch Morels bei seiner Braut hörte. Er selbst kam selten zum Major; es ergab sich eben nur wenig Gelegenheit dazu, und diese wenigen Male war ihm das Glück nicht günstig: die Glasthüre ließ nichts erblicken, nicht einmal einen Schatten. Die Beobachtung an seinem Fenster hatte ebenfalls keine besonderen Erfolge. Auch konnte er ihr nicht sehr viel Zeit widmen: der Beruf verlangte seine Abwesenheit von Hause gerade zu der Zeit, die zu seinen Fensterbeobachtungen am geeignetsten gewesen wäre. Die Damen Perraul erblickte er freilich sehr häufig, wie sie den Platz überschritten. Marguerite hingegen erspähte er nur sehr selten, und dann verhüllte der dichte Kreppschleier ihr Gesicht, so daß er sie mehr darunter erriet, als daß er sie wirklich erkannt hätte.

Es wurde Frühling … Längst war die letzte Eisscholle aus der Mosel verschwunden, die Luft wehte lau, und der Himmel nahm wieder eine südlich blaue Färbung an. Die Höhen um Metz schimmerten grün vom frischen Grase, das dort sprießte. An den Alleebäumen zeigten sich dicke Knospen, in denen der Saft stieg und stieg, und manche überzogen sich schon mit einem dünnen zartgrünen Schleier. Tag um Tag machte der Frühling neue Fortschritte, entdeckte man Schwellen und Sprießen dort, wo vorher nur dürres Astwerk gewesen war. In der Luft zwitscherten bereits die Schwalben. Doch niemals hatte Detlev dem neuen Werden so wenig Aufmerksamkeit zugewendet wie in diesem Jahre. Er hatte zu viel zu thun mit seinen inneren Zuständen. Nicht nur, daß er seine hoffnungslose Neigung für Marguerite nicht verwand, er litt noch mehr darunter als am Anfang. Das beste für ihn wäre gewesen, sich versetzen zu lassen.

Es traten jedoch Ereignisse ein, die ihm nicht nur eine Versetzung, sondern vielmehr einen ganzen Berufswechsel nahe legten. Schon seit Monaten schrieb ihm sein Onkel, der ihn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0216.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2020)