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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

beobachtet. Sie hängen zusammen mit schlechter oder unzweckmäßiger Ernährungsmethode und mit Diätfehlern, niemals aber mit den Zähnen.

Die Behauptung, daß Ausschläge durch das Zahnen verursacht werden, ist wohl das Absurdeste, was in Hinsicht der Zahnungskrankheiten geleistet worden ist. Hierfür giebt es überhaupt gar keine Worte der Widerlegung mehr! Denn man kann sich auch nicht im allerentferntesten eine Vorstellung davon machen, wieso ein Zähnchen, welches sich im Kiefer bildet und welches durch das Zahnfleisch herauswächst, dem Kinde an der Haut seiner Schenkel oder des Bauches juckende Pusteln zu verursachen imstande sein sollte.

Die Sache liegt aber auch hier ganz klar. Die Haut des Säuglings ist überhaupt sehr reizbar und sehr empfindlich. Es können äußere Einwirkungen reizender Art oder auch Einwirkungen reizender Stoffe, welche durch den Nahrungskanal und hierauf durch die Blutcirkulation in die Haut gelangen, bei Kindern Juckausschläge veranlassen. Solches kommt während des ersten Kindesalters vielfach vor. Was Wunder, daß auch Ausschlagskrankheiten der Kinder in die Periode der Zahnbildung fallen!

Aehnliches gilt von manch anderer Erkrankungsform, welche im Kindesalter vorkommt. Hat man doch auch Augenentzündungen und Ohrenflüsse mit der Zahnung in Zusammenhang gebracht und besonders dem Durchbruche der sogenannten Augen- oder Eckzähne einen entzündungserregenden Einfluß auf die Augen der Kinder zugeschrieben.

Beobachtet man die Kinder während der Zahnungsperiode genau, so findet man, daß den Kindern das Heraustreten der Zähne aus den Kiefern nicht die geringste Störung in ihrem Wohlbefinden verursacht. Selbst das im übrigen ganz harmlose Speicheln, welches allgemein dem Zahndurchbruche in die Schuhe geschoben wird, hängt nicht mit dem Herauskommen der Zähne zusammen, sondern findet sich als ständige Erscheinung bei den meisten Kindern vom zweiten bis zum vierten Lebenshalbjahre angefangen. Es ist aber leider eine Thatsache, daß gerade in der Zeit vom sechsten Lebensmonate bis zur Vollendung des Milchgebisses (Ende des zweiten Lebensjahres) die Kinder oft von Krankheiten heimgesucht werden, welche, obwohl in gar keinem ursächlichen Zusammenhange mit der Zahnung stehend, dennoch mit derselben in einen solchen gebracht werden, nur aus dem Grunde, weil diese Krankheiten mit der Zahnungszeit zufällig zusammenfallen.

Am häufigsten sind es Erkältungskrankheiten, ferner Infektionskrankheiten und Störungen der Verdauung, welche, weil sie bei kleinen Kindern überhaupt ungemein häufig vorkommen, mit Zahnungskrankheiten fälschlich verwechselt werden. Leider behaupten die Anhänger der Irrlehre, daß bei den Zahnungskrankheiten keine Behandlung notwendig ist, weil die Krankheit mit dem Durchbruche des Zahnes ohnehin schwindet. Aus diesem Grunde wird es nur zu oft unterlassen, rechtzeitig ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jedermann, dem das Wohl seines Kindes am Herzen liegt, lasse ab von solchem Wahne und beherzige die Lehre: Es ist zwar leicht, sich dadurch zu beruhigen, daß man die Krankheit eines zahnenden Kindes auf den Prozeß der Zahnung schiebt, es ist aber schwer zu helfen, wenn einmal die richtige Zeit versäumt ist, der einmal ausgebildeten Krankheit durch Heilmittel zu begegnen. Ich habe es schon häufig erlebt, daß intelligente junge Mütter, welche von Haus aus von der Unhaltbarkeit der Lehre von den Zahnungskrankheiten durchdrungen waren, anderer Meinung geworden sind, weil angeblich praktische Frauen, Hebammen oder alte Pflegerinnen, ihnen den ganzen Tag mit den Fabeln von den Zahnungsübeln in den Ohren lagen. Die Pflege des Kindes verlangt genaue Befolgung der seitens der ärztlichen Wissenschaft angegebenen Regeln. Hier muß die Altweiberwirtschaft und der Köhlerglaube ein Ende nehmen! Wahrheit und Aufklärung muß in die Laienwelt dringen, denn niemals rächt sich die Außerachtlassung einer vernünftigen Obsorge für das Leben und die Gesundheit eines Kindes mehr als dann, wenn es sich um den Beginn eines krankhaften Zustandes beim Kinde handelt.

Man hat vielfach die Ansicht gehegt, es sei zweckmäßig, den Kindern zur Erleichterung des Zahndurchbruches Körper in den Mund zu stecken, auf welche die Kinder ihre Kiefer zusammenbeißen können. Man ist dabei von der Anschauung ausgegangen, daß zum Durchtreten der Zähne das Zahnfleisch von den Zähnen „durchbrochen“ werden muß; dieser Akt soll nun leichter von statten gehen, wenn durch eine beständige Druckwirkung auf das Zahnfleisch dieses allmählich verdünnt wird. Diese Anschauung ist jedoch vollkommen irrig. Das Zahnfleisch wird von dem sich bildenden Zahne erst dann durchbrochen, wenn die Spitze des Zahnes soweit vorgedrungen ist, daß das Zahnfleisch dem Wachsen des Zahnes von selbst nachgiebt. Dieser Prozeß geht ganz allmählich und ohne dem Kinde Schmerz zu bereiten, vor sich, denn je mehr der Zahn aus dem Kiefer nach dem Zahnfleisch zu wächst, desto dünner wird das darüber stehende Stückchen Zahnfleisch, weil es allmählich aufgezehrt wird, und desto blässer wird es, bis endlich der Kreislauf des Blutes an jener Stelle, welche der Zahnspitze anliegt, erlischt und das vorliegende, nunmehr schon ganz dünne Häutchen vollends aufgesogen wird. Es geht also, wie anfangs schon angedeutet, bei dem Zahndurchbruche eine Aufsaugung der kleinen Zahnfleischpartien vor sich, welche über den Spitzen der vordringenden Zahnkronen liegen. Elfenbein, Veilchenwurzel, trockenes Leder und dergleichen mehr den Kindern in den Mund zu stecken, ist deswegen schädlich, weil das beständige Lutschen an diesen Dingen zu Speichelflüssen Veranlassung giebt, und weil in den Poren dieser Gegenstände sich Speichel- und Nahrungsreste ansammeln, welche natürlich in den Magen hineinkommen und daselbst Gärungsprozesse, also Magen- und Darmkatarrhe, verursachen können. Gar manche angebliche Zahndiarrhöe, gewiß aber der häufig beobachtete angebliche Speichelfluß der zahnenden Kinder ist nichts anderes als ein künstlich erzeugtes Leiden, hervorgerufen durch den Gebrauch solcher vermeintlicher „Zahndurchbruchsbeförderungsmittel“. Also auch mit diesen muß vollkommen aufgeräumt werden!




Der König von Thule.

(Zu unserer Kunstbeilage.)

Die herrliche Ballade, welche Goethe im „Faust“ seinem Gretchen in den Mund legt, hat den Maler van der Ouderaa zu seinem ausdrucksvollen Gemälde angeregt.

„Es war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.

Es ging ihm nichts darüber,
Er leert’ ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.

Und als er kam zu sterben,
Zählt’ er seine Städt’ im Reich,
Gönnt’ alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.

Er saß beim Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vätersaale,
Dort auf dem Schloß am Meer.

Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut
Und warf den heil’gen Becher
Hinunter in die Flut.

Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer.
Die Augen thäten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.“

Viele Leser und Hörer werden sich schon gefragt haben, wer ist dieser sagenhafte König und wo ist sein sagenhaftes Land zu suchen, ohne darüber befriedigende Auskunft zu finden.

Zu diesem Zwecke müssen wir die Geographie des Altertums zu Rate ziehen – die ultima Thule, deren Beiwort so etwas wie das Ende der Welt verkündigt, findet sich bei den römischen Klassikern; doch wenn wir näher nachforschen, erhalten wir eine Auskunft, die in unserer Zeit der Polarexpeditionen von großem Interesse ist. Auch das Altertum hatte seine kühnen Entdeckungsreisenden und bei dem damaligen Stande der Schiffahrt war das Wagnis ihrer Fahrten um so bewundernswerter. Einer dieser kühnen Seehelden war Pytheas aus Massilia, dem heutigen Marseille, damals einer blühenden Handelskolonie der Griechen, weit abgelegen vom Mutterlande. Pytheas lebte gegen das Ende des dritten Jahrhunderts v. Chr.; die Aufzeichnungen über seine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0275.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2020)