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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Papa … und mit dieser letzten Nachricht … das müssen wir ihm danken!“

Schweigend blickte die alte Frau zu dem brennenden Gesicht ihres Kindes auf.

„Ich meine,“ sagte Lo’, „wir sollten ihm eines von unseren Bildern schicken … als Erinnerung an Papa und … an alles andere.“ Ein mildes Lächeln verschönte ihren Mund, während ihre Augen in Thränen schwammen. „Meinst du nicht auch?“

„Ja, Lo’, wenn du es so willst, dann freilich, ja! Und welches meinst du denn?“

Da trat die Magd in die Stube. „Ich bitt’ Ihnen, Fräul’n … aber der Gusterl weiß, daß ’s Fräul’n schon im Haus is, und jetzt giebt er kein’ Ruh nimmer: ’s Fräul’n soll kommen, ’s Fräul’n soll kommen!“

„Ich komme gleich!“ erwiderte Lo’, und die Magd verschwand. Lo’ erhob sich. Lächelnd zog sie die alte Frau zu sich empor und umschlang sie. „Sei gut, Mutterl! Und sorg’ dich nimmer. Papa hat mich erzogen zu seinem starken Kind … und was ich dir sein kann, Mutter, das sollst du haben an mir!“

„Ach ja!“

Lo’ küßte die Mutter auf beide Augen. Dann verließ sie die Stube. Erst ordnete sie noch in der Küche die Theeplatte und sagte zu dem Mädchen: „Trag nur alles gleich hinein, Mama hat schon so lange warten müssen.“

Als sie durch die Schlafstube der Mutter ging, fiel aus der offenen Thür des anstoßenden Zimmers der helle Schein einer Lampe und erleuchtete eine Bilderwand. Lolos Blick begegnete jener Leinwand mit dem Hermeskopf – mit der weißen Marmorsäule des jugendlich schönen Gottes, dem eine Natter auf die Schulter kriecht. Ekel und Grauen sprechen aus seinem Gesicht, doch seine Brust ist angewachsen an den unbeweglichen Stein, und er hat keine Arme, um die giftige Häßlichkeit von sich abzuwehren.

„Das! … Das soll er haben!“

Zitternd, in einem Sturm von Empfinden, nahm Lo’ das Bild von der Wand und küßte die Stirne des schönen Gottes.

Da klang die Stimme des Knaben: „Lo’? Was machst du denn da draußen? Geh, komm doch zu mir!“

„Ja, Bubi, ich komme schon!“ Sie hing das Bild wieder an die Wand und trat in die kleine Stube.

Mit seinem verpflasterten Gesichtchen saß Gustl aufrecht in den Kissen. „Du, Lo’, jetzt eben hab’ ich probiert, ob ich marschieren kann. Ich sag’ dir, es geht schon ganz famos. Morgen darfst du mich aufstehen lassen.“

Sie trat zum Bett und nahm die Hand des Bruders. „Morgen? Nein, Bubi, morgen mußt du noch liegen bleiben.“

„Na also, morgen noch! Aber dann, gelt? Dann darf ich aufstehen? Und darf ich dann auch bald hinauf ins Jagdhaus? Er hat mich doch eingeladen! Uebrigens, weißt du … ich hab’ so was wie eine Ahnung. Gieb acht, Lo’, morgen kommt er …“

Lo’ befreite ihre Hand, und damit der Bruder die Erregung nicht sehen möchte, die sie zittern machte, ging sie hastig zum Fenster, das noch offen stand.

Verwundert sah Gustl zu ihr auf. „Aber Lo’?“

„Ich will nur das Fenster schließen. Die Nacht wird kühl …“ Ihre Stimme erlosch – draußen über der Hecke sah sie einen Menschen stehen, regungslos in dem trüben Dunkel. Ruhig schloß sie das Fenster und zog die Gardinen vor. –

Der auf der Straße draußen lachte leis und schob den Hut aus der Stirne. Mit den Armen über den Lauf der Büchse gelehnt, deren Kolben auf der Erde ruhte, blieb er stehen, bis der Lichtschein am Fenster erlosch. Dann eilte er durch das finstere Dorf hinauf, dem Gaisthal entgegen. –

Es ging auf elf Uhr, als Mazegger die Tillfußer Alm erreichte. Zitherklang, Gesang und Lachen tönte aus der Sennhütte. Das Jagdhaus stand noch mit hell erleuchteten Fenstern -- nur das Speisezimmer war dunkel. Und im Försterhäuschen wurde just die Lampe ausgeblasen.

Während Mazegger an der Sennhütte vorüberging, warf er einen gleichgültigen Blick in die offene Thüre, durch die es herausquoll wie roter Feuerdampf.

Das war ein lustiger Trubel in der Wirtsstube zum „verloffenen Lampl“! Cigarrenrauch und Staub, den die tanzlustigen Paare aufgewirbelt hatten, erfüllten den großen Raum. Ein mächtiges Feuer flackerte auf dem Herd, und über dem dichtbesetzten Tisch, in einem Mauerring, brannte eine Kienfackel. Einer der jungen Touristen spielte mit wenig Kunst, aber mit vielem Eifer die Zither, die anderen sangen und tranken, schwatzten und lachten – und nur eine einzige hielt sich abseits von diesem fidelen Spektakel: mit rotem Gesicht und gerunzelten Brauen stand Burgi am Herd und warf ein Scheit um das andere ins Feuer, als gält' es, eine Höllenlohe für eine dem Bratspieß verfallene Sünderseele anzuschüren. Sie trat nur zum Tisch, wenn sie ein leer gewordenes Glas wieder zu füllen hatte. Und dann mußte sie in den Keller hinunter, wo das Fäßlein mit dem roten „Spezial“ schon bedenklich hohl erklang. Was ihre grimmige Laune am meisten zu reizen schien, das war, daß sie den Weg in den Keller besonders häufig für den Praxmaler-Pepperl machen mußte. Der schien den Schwur der Nüchternheit, den er draußen beim Sebensee seinem Jagdherrn geleistet hatte, völlig vergessen zu haben. Zwei Liter hatte er schon hinuntergebissen in seine durstig aufgeregte Seele, und jetzt eben schrie er zum neuntenmal:

„He, Sennerin? Noch ein Viertele!“

Abgewandten Gesichtes stellte ihm Burgi den frisch gefüllten Schoppen hin. Doch während sie zum Herd ging, warf sie einen Wutblick über die Schulter – und nicht nur auf den Praxmaler-Pepperl. Die schlimmste Glut dieses Blickes galt der kleinen Französin, deren lustiges Lachgezwitscher die Stimmen all der anderen übertönte.

Zwischen Pepperl und Mam’zelle Fifi hatte sich die ungenierteste Freundschaft im Verlauf einer Stunde so flink und heiß entwickelt wie Dampf aus kochendem Wasser. Als die kleine Französin am Arm des Leibjägers die Sennhütte betreten hatte, war Pepperl mit finster brütenden Augen in einem Winkel gesessen und hatte sich gegen Fifis ersten Annäherungsversuch so scheu und unzugänglich verhalten wie ein junges Fohlen, dem man zum erstenmal das Geschirr um den Hals legen will. Aber war es die Wirkung des Weines, den er als reichlichen Seelentrost in sich hineingoß, oder war’s ein spöttisches Lächeln der Sennerin, ein bissiges Wort, das Burgi einem der Touristen über die Französin gerade so laut noch zuflüsterte, daß es Pepperl hören mußte – irgend etwas hatte im Praxmaler-Pepperl plötzlich einen psychologischen Wettersturz hervorgerufen und hatte ihn aus einem griesgrämigen Leimsieder in einen krakehlenden Don Juan verwandelt, dessen Schmeicheleien die kleine Französin in um so größere Begeisterung versetzten, je derber sie ausfielen. Dieser „echte Tiroler“, dieser „Typus der Rasse“ gefiel ihr immer bester mit jeder Minute. Sie ließ es, um ihn in Feuer zu bringen, an Avancen nicht fehlen – und Pepperl war nicht dumm: wenn sie ihm einen kleinen Finger reichte, nahm er immer gleich die ganze Hand, zum Gaudium der Französin und der ganzen lustigen Gesellschaft – die Sennerin ausgenommen. An diesem „Flirt“ – wie Jean, der Verschnürte mit den grünen Achselklappen, die koketten Manöver Fifis mit Weltbildung bezeichnete – beteiligten sich alle Mitglieder der Tafelrunde und spielten mit, wie die Zuschauer bei einer Hanswurstiade. Da Fifi kaum ein paar deutsche Worte, geschweige den tiroler Dialekt, und Pepperl kein Wort Französisch verstand, mußte bald der Leibjäger und bald wieder einer der jungen Touristen den Dolmetscher abgeben, wobei die drastischen Komplimente, welche Pepperl der Französin machte, mit lautem Halloh bei der Uebersetzung noch übertrieben wurden. Als Pepperl in seiner schwehlenden Weinlaune beteuerte: „Die g’fallt mir, die mag ich, ja!“ – begnügte sich Fifi nicht mit der Uebersetzung.

Moioi, je veux, qu'il me dise cela en français!

„Was hat s’ g’sagt?“ fragte Pepperl.

Einer der Touristen übersetzte: „Sie will, du sollst ihr auf Französisch sagen, daß sie dir gefällt.“

„So?“ Pepperl studierte eine Weile, und dann fragte er zögernd: „Wie thät’ denn das nachher heißen auf Franzeesisch, wann ich ebba sagen möcht: du bist eine saubere, du … dich hab’ ich gern!“

Unter Gelächter sagte man’s dem Praxmaler-Pepperl ein paarmal vor: „Vous êtes très belle! Je vous aime!

Und Pepperl plapperte nach: „Wussed treppell, schö wussem!“

Fifi klatschte vor Wonne in die Hände und zwitscherte ihr höchstes Lachen. Die Bewunderung, die sie für diesen superbe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0314.jpg&oldid=- (Version vom 10.2.2022)