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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Menschen. Vielleicht wollte sie dem gefälligen Herrn Leutnant gegenüber sich auch nicht zu konventionell benehmen.

„Onkel Fritz,“ dachte Achim … „aber das wäre doch …“

Immerhin erregte ihn die Möglichkeit eines solchen Zusammentreffens, und er fing an, starke Neugier zu fühlen, wer die beiden Reisenden seien.

„Hoffentlich stört der unvermutete Aufenthalt Sie und Ihren Herrn Onkel nicht in Ihrem Reiseplan?“ fragte er.

„Ja, schon ein bißchen. Das heißt, alles verschiebt sich um einen Tag. Aber das macht nichts. Onkel ist kein Pedant. Und mir ist es auch egal. Da kommen wir eben einen Tag später nach Italien. So – danke vielmals.“

Sie waren drüben und sahen nun zu, wie der lange alte Herr, von dem kleinen Bläser geleitet, etwas schwankend nachkam.

Dann lüftete Onkel Fritz wieder die Lammfellmütze, dankte den beiden Herren mit vieler Freundlichkeit und sagte:

„Also komm, Susanne!“

Natürlich, sie sind es, dachte Achim und sah ihnen interessevoll nach. Bläser, neben ihm, pries mit großen Worten das Aussehen und die Gestalt des Mädchens.

„Werd ’mal ’n Ton mit ’m Kutscher reden, wer die sind. Da muß man sich noch ’n bißchen ’ranmachen. Ein famoses Mädel! Wissen Sie was, Körlegg – wenn wir heut das Essen bei unsern Quartierwirten schießen ließen und im ‚König Stanislaus‘ dinierten? Wir haben beinahe Lebensretter gespielt – also gewissermaßen Anrecht, Bekanntschaft zu kultivieren. Was meinen Sie?“

„Ach, Sie machen aus jeder Bagatelle ein Ereignis! Die wissen heut mittag schon nicht mehr, wie wir aussehen,“ sagte Körlegg ausweichend, trotzdem er sofort entschlossen war, auch im „König Stanislaus“ zu essen.

Susanne Osterroth wußte um Mittag aber noch ganz gut, wie die beiden Herren ausgesehen hatten.

„Nicht wahr, Onkel,“ sagte sie, „das waren zwei nette Leutnants? Besonders der große, blonde hat mir gut gefallen. Er hatte so etwas Männliches, Ernstes.“

„Vielleicht hat der ganze Eindruck von Männlichkeit bloß in den hohen schlammbespritzten Stiefeln seinen Grund. So eine Uniform mit den Spuren harter Arbeit sieht nach was aus. Das kleidet,“ sprach er lächelnd.

„Dir imponiert auch nichts,“ meinte sie.

„Ein Leutnant wenigstens nicht gleich auf den ersten Blick, denn ich bin kein Mädchen.“

„Na, so eins bin ich doch auch nicht,“ rief Susanne.

Mittags suchten sie sich im Speisesaal des „Königs Stanislaus“ einen Tisch. Die beiden langen Haupttafeln waren für Offiziere bestimmt, die teils schon dasaßen, teils gerade ankamen. Die ganze Sache war Onkel Fritz etwas zu kriegerisch bewegt. Indes, essen mußte man und drüben in der kleineren Wirtsstube wimmelte es von Unteroffizieren und Feldwebeln. Am Fensterpfeiler stand ein freier Tisch. Ueber ihm an der Wand hing ein Riesenplakat; da sauste eine brennendrot gekleidete Dame mit prallsitzenden Strümpfen auf einem Velociped geradeswegs auf den Beschauer los. Darunter hing die Ankündigung der Berliner Gewerbeausstellung. Die sich emporstreckende Faust mit dem Hammer war von Fliegenschmutz betupft. Seufzend ließ Onkel Fritz sich nieder. Das kleine Vergnügen, welches ihm die Situation gewährte, war die Beobachtung, daß Susanne, als einzige Dame wohl unter vierzig Herren, ganz so unbefangen blieb, wie sie immer war.

„Sieh mal, da sitzt dein Held mit den Reiterstiefeln,“ sagte er.

Da Körlegg und Bläser bemerkten, daß der alte Herr zu ihnen hinübersah, erhoben sie sich grüßend. Auch Susanne nickte lebhaft und freudig.

„Wir werden sie nachher zu einem Trunk Sekt herüberbitten lassen.“

„Kann man das?“ fragte Susanne zweifelnd.

„Ein alter Herr darf zwei jungen Leuten, die ihm einen Dienst erwiesen, schon ein Glas Wein anbieten, ohne sie zu kränken.“

Susanne blieb ein wenig unruhig. Onkel Fritz in seiner Patriarchenstellung innerhalb seiner weitverzweigten Familie hatte sich angewöhnt, auch Fremden gegenüber manchmal etwas leutseliger zu sein, als es Susanne richtig schien. Wie allen jungen Menschen fehlte ihr in Persönlichkeitsfragen noch oft die innere Freiheit.

Aber Körlegg und Bläser nahmen die Einladung, die der Oberkellner ihnen nach genauer Personalbeschreibung brachte, nicht übel, sondern verließen mit strahlenden Gesichtern ihren Nachtisch, von ihren Kameraden beneidet.

Der alte Herr ging ihnen einige Schritte entgegen.

„Von Körlegg.“

„Bläser.“

„Osterroth.“

Nach dieser Selbstvorstellung erwuchs nun Onkel Fritz die Pflicht, die Herren seiner Nichte vorzustellen.

„Gestatte, mein liebes Kind,“ sagte er, „Herr von Hörneck, Leutnant Heeser, – meine Nichte, Fräulein Osterroth.“

Onkel Fritz war sehr befriedigt. Namen waren seine schwache Seite, diesmal hatte er nach seiner Meinung gleich richtig verstanden und vorgestellt. Auch war er noch von der alten Schule und nannte die adeligen Herren beim Namen und die bürgerlichen bei ihrer Charge.

Man plauderte sogleich sehr heiter. Körlegg gestand, daß die Lammfellmütze ihn verführt habe, Herrn Osterroth für einen Russen zu halten, für einen Diplomaten überdies, wegen der ganzen Erscheinung.

Da der alte Herr seinen Namen falsch verstanden und nachgesagt hatte, fühlte Körlegg eine fröhliche Sicherheit in sich.

Der Saal wurde immer leerer, alle Offiziere waren seit vier Uhr früh in aufregender Thätigkeit gewesen. Der Dienst begann um drei Uhr von neuem.

„Sie werden sich ausruhen wollen und wir halten Sie auf,“ sprach Onkel Fritz.

„Nein,“ gestand Bläser aufrichtig, „nach all dem wüsten Lärm und Regen und Schmutz bietet dies heitere Stündchen mit Ihnen uns mehr Erfrischung, als es der Schlaf vermöchte.“

Bläser ist ein netter Mensch, dachte Körlegg wohlgefällig.

Beim dritten oder vierten Glas fragte Susanne dann Körlegg, welches seine Garnison sei. Gerade sprach Bläser lebhaft von seinem Steckenpferd, der Fuchsjagd, mit dem alten Herrn.

„Ich stehe in Mühlau,“ sagte er unwillkürlich leise und sah Susanne ernst in die blauen Augen.

Der Ton und der Blick hinderte Susannen, den fröhlich überraschten Ausruf zu thun: „Da reisen wir ja gerade hin!“

„Kennen Sie …“ begann sie und stockte schon.

Er sah sie wartend an. Sie besann sich anders und sagte auch halblaut:

„Ich habe Verwandte in Mühlau.“

Er nickte langsam. „Ich weiß es!“ Es klang so schwer.

„Hat Onkel Ihren Namen richtig verstanden?“ fragte sie schnell.

„Nein!“

Und wieder sah er ihr fest, fast befehlend in die Augen.

Sie verstanden sich. Ihm schien es, als wechsele Susanne ihre Farbe. Sie mußte begriffen haben, wer er war.

Das Gespräch wurde wieder allgemein, und mit großer Lebhaftigkeit scherzte man miteinander. Die Worte waren harmlos, die Mienen lachend.

Aber Susannens Blicke ruhten immerfort mit einem offenkundigen, unersättlichen Interesse auf Achims Angesicht.

So also sah der Mann aus, welcher der Gegenstand einer unheilvollen, rasenden unseligen Leidenschaft war! Um diesen wollte ein Weib einer Welt trotzen!

Welche Eigenschaften mußte er haben? Wo lagen die geheimen Zauber seines Wesens? Was war die Gewalt, die von ihm ausging und der armen Sabine alle Besinnung raubte?

Das war er! Er! Und saß hier, ein friedlich und angenehm plaudernder, verbindlicher Mann, in einer Uniform ebenso wie die vierzig oder fünfzig anderen Männer, die eben noch im Raum hier gewesen waren. Ganz gewöhnlich, ganz alltäglich!

Und trug doch ein großes Wunder verschwiegen mit sich herum.

Das Wunder einer unsäglichen Liebe. Es war Susanne,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0391.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2022)