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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Todfeindinnen im Leben, der Eleonore Sophie und Maria Magdalena, Gräfinnen von Schwarzburg, die vielgenannte Marie Aurora von Königsmark, die Geliebte Augusts II, Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen, Mutter des Marschalls Moritz von Sachsen.

Zu meiner Jugendzeit wurde der unverwest erhaltene Körper dieser einst so schönen gefeierten Frau noch gezeigt. Die damalige Kastellanin, eine alte dicke Madame, pflegte bitterlich zu weinen, sobald sie den Sargdeckel hob, indem sie die Tote lobte und pries.

Gräfin Aurora von Königsmark.

Durchreisende Fremde wallfahrteten zu jener Zeit nach dieser Sehenswürdigkeit Quedlinburgs, und so einst auch mein Vater als flotter Student. Im Gasthofe fragte er dann die Kellnerin, die ihm ein Frühstück auftrug, ob sie die Königsmark schon einmal gesehen habe. „Nä!“ war die Antwort der hübschen Quedlinburger Dirne, „wahnt de all lange hier?“

Anna Gräfin zu Stolberg II.

Einen schönen Anblick bot Aurora im Sarge eben nicht. Ich erinnere mich nur, daß sie in veilchenfarbenen Sammet und vergilbten weißen Atlas gekleidet war, daß dunkles Haar unter dem Häubchen hervorsah und daß sie auffallend lange Augenwimpern und kinderkleine schmale Hände hatte. – Gottlob, heute wird sie nicht mehr gezeigt.

Wir atmen auf, als wir oben in der Kirche stehen, die, über der Krypta erbaut, im Jahre 1021 von der Aebtissin Mathilde vollendet und von Kaiser Heinrich II geweiht wurde, dann, im Jahre 1070 durch Brand schwer geschädigt, erst im Jahre 1129 durch den Bischof von Minden und Hildesheim in Gegenwart Kaiser Lothars II mit großer Pracht abermals eingeweiht worden ist.

Im Laufe der Jahrhunderte ist die ursprüngliche Schönheit der frühromanischen Kirche durch allerhand dem augenblicklichen praktischen Bedürfnis dienende Zuthaten arg geschädigt worden. Man hatte Betstübchen zwischen die herrlichen Säulen gebaut und einen Riesenaltar im Barockstil auf den hohen Chor gesetzt, an und für sich gewiß eine recht kunstreiche Leistung, aber in dies einfache vornehme Gotteshaus nicht passend. Festliche, glänzende Gottesdienste mögen hier stattgefunden haben, z. B. bei Gelegenheit der Einführung einer neuen Aebtissin, deren manche aus königlichem Geblüt stammte.

Hier nahte sich auch, der Sage nach, am heiligen Weihnachtsmorgen dem Kaiser Otto I sein aufrührerischer Bruder Heinrich, der, obwohl jünger als Otto, sich dennoch, beeinflußt durch seine Mutter, deren Lieblingssohn er war und die lieber ihn auf dem Thron sehen wollte als ihren Erstgeborenen, dreimal gegen ihn auflehnte und dreimal in blutiger Fehde von Otto besiegt wurde. Zuerst noch zürnend und den Reuigen abweisend, reichte doch der großmütige Kaiser dem Bruder die Hand auf Mahnung des Bischofs, der die Bibelworte citierte:

„Und Petrus sprach zum Herrn: ‚Nicht so? Genügt ich hab’,
Wenn ich dem sünd’gen Bruder schon siebenmal vergab?‘
Doch Jesus ihm antwortet: ‚Nicht siebenmal vergieb,
Nein siebenzig mal sieben, das ist dem Vater lieb.‘

Da schmilzt des Kaisers Strenge in Thränen unbewußt,
Er hebt ihn auf, den Bruder, er drückt ihn an die Brust;
Ein lauter Ruf der Freude ist jubelnd rings erwacht,
Nie schöner ward begangen die heil’ge Weihnachtsnacht.“

Prinzessin Amalia von Preußen.

Die Ballade, deren Schlußstrophen so lauten, und die beginnt: „Zu Quedlinburg im Dome ertönet Glockenklang,“ lernten wir Quedlinburger Kinder in der Schule aufsagen, und nie habe ich das alte Gotteshaus betreten, ohne der kaiserlichen Brüder zu gedenken, deren Herzen sich hier wiedergefunden haben sollen. Die „Gartenlaube“ brachte ein Bild dieses Vorganges im Jahrgang 1897 zur Weihnachtszeit (S. 877).

Die Kaiserin Friedrich, die als Kronprinzessin mit ihrem Gemahl in den sechziger Jahren das Schloß besuchte, regte die Renovierung der herrlichen Kirche an, und nach ihrem Wunsche erstand, ausgeführt durch den hochverdienten Herrn von Quast, das alte Gotteshaus in ursprünglicher Schönheit. Die Kanzel ist nach einem Entwürfe der Kaiserin aus Sandstein gehauen im romanischen Stil; wundervoll sind auch hier die Säulenkapitäle sowie der hohe Chor mit dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0403.jpg&oldid=- (Version vom 12.2.2021)