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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

dieser klösterlich feierlichen Umgebung versetzt uns die Phantasie unwillkürlich in vergangene Zeiten. Wir sehen die alten Mönchsgestalten wandeln, düstere Ascetiker, gedankenvolle Mystiker, wie jenen berühmten Amandus Suso, den eine der Fresken zeigt; Philosophen und Künstler, Büchergelehrte und praktische Leute, und wir hören sie Gebete murmeln, disputieren und memorieren; wir brauchen nur das Klostergespräch auf dem Bilde an der Wand zu betrachten und wir sind mitten unter ihnen. Vergangene Zeiten! Eine elektrische Klingel schrillt durch die Luft, ein junges Ehepaar kichert vor einem der Bilder, ein bädekerlesender Sohn Albions versperrt uns den Weg. Vom nahen Stadtgarten her fallen die Klänge eines kräftigen deutschen Armeemarsches ein, denn Konstanz ist auch Garnisonsstadt.

Der vornehmste und älteste Zeuge der vielbewegten Konstanzer Geschichte ist das Münster, ein majestätischer Bau aus dem elften Jahrhundert, neben den Kirchen der Insel Reichenau eines der ältesten kirchlichen Bauwerke am Oberrhein. Einst, in den Jahren des großen Konzils, 1414–1418, waren die Blicke der gesamten Christenheit auf Konstanz und seinen Dom gerichtet. Wie man Worms, Speyer, Augsburg stets nennt, wenn man der Reformation gedenkt, so wird Konstanz in der Entwicklungsgeschichte der gewaltigen kirchlichen Bewegung des fünfzehnten Jahrhunderts dauernd seinen Platz behaupten, mag man auch über den Verlauf des weltberühmten Konzils verschiedener Meinung sein. Die Konstanzer waren eben Kinder ihrer Zeit, als sie am 6. Juli 1415 in hellen Haufen aus der Stadt hinausströmten auf den Brül, den Prager Magister und Agitator Johannes Hus auf dem Scheiterhaufen sterben zu sehen. Heute steht auf der Stelle, etwa 10 Minuten von der Stadt, ein Denkmal, der „Husenstein“, ein mit Inschriften versehener Felsblock. Hundert Jahre nach Husens Tod, als die Reformation auch in Konstanz Wurzel geschlagen hatte, ließen die Konstanzer Bischof und Domkapitel ziehen, ohne ihnen eine Thräne nachzuweinen. 1548 kämpften sie tapfer für den evangelischen Glauben wider die spanisch-kaiserlichen Truppen, im Dreißigjährigen Kriege dagegen waren sie wieder beim alten Glauben und verteidigten diesen gegen die Schweden. Auf alle diese Sturmes- und Glanzeszeiten hat der altehrwürdige Dom herabgesehen, sie alle überdauernd.

Das Rathaus.
Nach einer photographischen Aufnahme von Hofphotograph G. Wolf in Konstanz.

Den Herz und Sinn ergreifenden Eindruck wie der Kölner Dom macht nun freilich das Konstanzer Münster nicht; es hat auch nicht die ruhige, geschlossene Schönheit und Kraft, die über das Ulmer Münster ausgegossen ist. Allein die edle Gliederung des Ganzen, der mächtige Eindruck des Mittelschiffs, der reiche bildnerische Schmuck im Innern, das ein Kleinodienschrein alter und neuerer Kunst ist, nehmen doch wieder so gefangen, daß die Bewunderung alle kritischen Bedenken unterdrückt, und sinnend hängt der Blick an dem Schmuck der Altäre, an neu restaurierten Kapellen, Glasmalereien und Wandgemälden. Oberbaurat Friedr. Schmidt, der Vollender des Wiener Stephansturmes, spricht sich über die Gesamtanlage des Bauwerkes folgendermaßen aus: „An dem herrlichen Münster zu Konstanz hat jede Kunstepoche vom 12. bis 19. Jahrhundert bedeutsame Spuren ihrer Thätigkeit zurückgelassen; trotzdem macht das Innere einen harmonischen Eindruck; denn die Meister des Spitzbogenstils waren darauf bedacht, die harmonische Gestaltung des Innenraumes zu bewahren, und die Meister der Hochrenaissance beschränkten sich darauf, Altäre, Epitaphien etc. einzufügen.“ Die schon seit lange in Aussiebt genommene Gesamtrestauration des Innern wird den ohnehin schon bedeutenden monumentalen Eindruck des herrlichen Konstanzer Doms noch wesentlich erhöhen. – Neben dem geschichtlichen Panorama der Konstanzer Vergangenheit, wie es in den Fresken des Konziliumssaales im Kaufhaus und denen im Kreuzgang des Inselhotels geboten wird, besitzt die Stadt noch eine Schöpfung eigener Art im Rosgartenmuseum, die sie der Opferwilligkeit der Bürger, vor allem aber dem geradezu idealen Sammeleifer des hochverdienten Stadtrates Ludwig Leiner verdankt. Was immer für die Entwicklung der Stadt und der Bodenseegegend in natur- und kulturhistorischer, sowie in geschichtlicher Beziehung von Interesse sein kann, ist hier zu einer Sammlung vereinigt, wie nur ganz wenige Städte eine solche in gleicher Reichhaltigkeit aufweisen. Der Rosgarten besitzt auch die berühmte Konzilschronik des Ulrich von Richenthal, und wer jene bewegte Zeit in lebhaften

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0461.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2021)