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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


„Ja, Sie kehren in Ihrem Brankenberg so ziemlich das Unterste zu oberst,“ lachte der Geheimrat. „Unsere Landwirte sperren Mund und Nase auf über all das Neue, das da aus dem Boden hervorwächst, aber um so mehr nimmt man Ihnen die Zurückgezogenheit übel. Ich muß es oft genug hören, daß ich in der ganzen Umgegend für Sie der einzige Mensch zu sein scheine.“

„Und der will mich jetzt auch verlassen,“ warf Robert mit etwas gezwungenem Scherz ein. „Sie wollen ja nach der Schweiz.“

Rottenstein nickte und ließ einen schmerzlichen Blick über seinen Garten hingleiten, der in voller Lenzespracht blühte und duftete. „Im nächsten Monat. Meine Tochter hat sich für den Sommeraufenthalt in Interlaken entschieden, und dort treffen wir uns. Ich habe sie ja seit einem halben Jahre nicht gesehen.“

Die letzten Worte klangen sehr weichmütig. Adlau blickte ihn mit halb spöttischer, halb mitleidiger Miene an.

„Ich fürchte, ich habe Ihnen einen schlechten Dienst geleistet mit der damaligen Entführung. Sie sind gar nicht angelegt für einen solchen Gewaltstreich und haben ihn gewiß längst schon bereut.“

„Nicht doch! Ich war ja froh, diesem ewig drohenden Aegypten, mit seinen Pyramiden und Mumien, zu entrinnen, aber freilich, Elfriede – sie nahm mir das sehr übel. Ich habe bittere Dinge lesen müssen.“

„Warum warfen Sie nicht die ganze Verantwortung auf mich allein, wie ich Ihnen riet?“

Der alte Herr schwieg verlegen, er hatte das allerdings gethan, aber das war nur ein erschwerender Umstand gewesen in den Augen seiner Frau Tochter. Er wußte am besten, was er brieflich hatte aushalten müssen.

„Nun, Sie können ja bald mündlich Abbitte leisten,“ spottete Robert. „Malen Sie meine Unthat so schwarz als möglich, ich habe nichts dagegen. – Frau von Wilkow ist also noch in Konstantinopel?“

„Jawohl, und sie beabsichtigt noch einige Wochen dort zu bleiben. Ich erwarte jetzt bestimmte Nachricht darüber, ich schrieb ihr vor acht Tagen, gerade an dem Tage, wo Sie mit dem Pferde gestürzt waren.“

Adlau, der eben im Begriff war, das Glas zum Munde zu führen, setzte es jäh und heftig wieder hin. „Sie haben das doch nicht etwa geschrieben?“

Rottenstein geriet etwas in Verwirrung. Er hatte es allerdings seiner Tochter geschrieben, sogar am Abend des Tages, an dem der Unfall stattgefunden hatte. Dieser zornigen Frage gegenüber wagte er es aber nicht, das einzugestehen, und deshalb klang seine Antwort sehr diplomatisch:

„Wenn Sie es nicht wünschen, werde ich in meinem nächsten Briefe nichts davon erwähnen.“

„Ich bitte ausdrücklich darum. Man hat in Konstantinopel schwerlich Interesse für solche Dinge, wenn man sich in so vortrefflicher Gesellschaft befindet.“

Die Worte klangen in herbster Bitterkeit, aber der Geheimrat hielt es für besser, die Anspielung nicht zu verstehen.

„Elfriede ist allerdings in guter Gesellschaft,“ sagte er mit anscheinender Unbefangenheit. „Ich erzählte Ihnen ja, daß sie in Kairo mit Mister und Mistreß Thornton zusammentraf, der englischen Familie, bei der sie im Sommer zum Besuch war. Sie hatten schon damals dies Zusammentreffen verabredet und machten nun gemeinschaftlich die ganze Reise.“

„Mit dem unvermeidlichen Anhängsel, dem geistreichen Herrn Ferdinand Wellborn?“

„Ja, den scheinen sie allerdings nicht losgeworden zu sein! Von Aegypten ist er mit nach Palästina gegangen, von da nach Konstantinopel, und ich bin überzeugt, er taucht auch in der Schweiz auf. Ich fürchte jetzt auch, er steuert auf ein ganz bestimmtes Ziel los, und solch ein unermüdliches und beharrliches Werben wirkt schließlich bei jeder Frau. Elfriede besonders ist unberechenbar in mancher Hinsicht. Wenn sie sich wirklich überreden ließe, ihr Jawort zu geben, dann –“

Robert stand plötzlich auf und griff nach seinem Hute.

„Dann verdient sie einen solchen Gatten,“ sagte er mit äußerster Schroffheit. „Ich wünsche der gnädigen Frau Glück dazu.“

„Sie wollen schon fort?“ fragte Rottenstein bestürzt. Er war ärgerlich auf sich selbst, er wußte es ja längst, daß Adlau die Berührung dieses Punktes nun einmal nicht vertrug, und hatte sich doch dazu verleiten lassen.

„Sie sind ja kaum eine halbe Stunde hier gewesen,“ fuhr er bittend fort. „Haben Sie es denn so eilig?“

„Jawohl, ich will noch nach dem Reichenauer Forste und mir den dortigen Bestand ansehen. Das Waldrevier soll verkauft werden, es wurde mir angeboten und es liegt mir sehr bequem. Da heißt es, sich rasch entschließen und zugreifen. Also auf Wiedersehen!“

Er ging nach flüchtigem Gruße; der alte Herr blickte ihm nach und schüttelte den Kopf.

„Er kann’s nicht verwinden – trotz alledem!“ sagte er halblaut. „Er wirtschaftet zwar in Brankenberg herum, daß einem Hören und Sehen vergeht, aber Freude hat er nicht daran, und dies Einsiedlerleben kommt auch nur von dem Groll und der Verbitterung her. Ja ja, Friedel, den Robert hast du auf dem Gewissen!“

Ob Elfriede wirklich so ganz gleichgültig war gegen die Nachricht, die er ihr geschrieben hatte? Man hatte ihn damals mit der Schreckensbotschaft vom Schreibtische fortgerufen, und als er zurückkam, noch ganz unter dem ersten Eindruck des Unfalls, der im Anfange gefährlich genug schien, hatte er nur eine Nachschrift unter den halb vollendeten Brief gesetzt: „Ich komme eben von Brankenberg, wo Robert schwer verwundet liegt. Ein Sturz mit dem Pferde – es steht leider alles zu befürchten!“

Das war ja nun glücklicherweise ganz anders gekommen, aber antworten mußte man doch wenigstens auf eine derartige Meldung.

Der Geheimrat saß allein bei seinem Glase, aber der Wein schmeckte ihm nicht mehr, und er versank in trübe Gedanken. Nun kam der Sommer, die schönste Zeit am Rhein, und andere kamen aus weiter Ferne, um das zu genießen, aber er selbst mußte sein behagliches Heim verlassen und auswandern, nach der großen, von Menschen überfüllten Sommerfrische der Schweiz. Es blieb ihm ja nichts anderes übrig, wenn er sein einziges Kind wiedersehen wollte. Elfriede hatte ihm in ihren Briefen mit vollstem Nachdruck wiederholt, sie werde nie wieder Lindenhof betreten, solange der Herr von Brankenberg in seinem Schlosse wohne. Bei der Nähe der beiden Orte hätte sich allerdings eine Begegnung nicht vermeiden lassen!

Da hieß es also wieder monatelang in ungemütlichen Hotelzimmern wohnen und den ganzen Lärm des Reiseverkehrs aushalten, der dann auf seiner Höhe stand. Da ging es wieder Tag für Tag hinaus, auf alle möglichen Berggipfel, zu Pferd, zu Wagen, mit den Bahnen, eine ruhelose Hetzjagd vom Morgen bis zum Abend. Diesmal aber dachte der geplagte Vater nicht daran, durchzugehen, er hatte genug an dem einen Male.

Er griff schließlich nach der Zeitung, um auf andere Gedanken zu kommen, und hatte wohl eine Stunde lang gelesen, da fuhr draußen am Gitterthor ein Wagen vor. Er sah auf: die beiden Koffer deuteten auf Fremde und der Herr, der soeben ausstieg, schien auch den Kutscher nach dem Namen des Landhauses zu fragen. Rottenstein wurde aufmerksam, die Gestalt kam ihm so bekannt vor. Das konnte doch unmöglich – aber jetzt kam der junge Mann durch den Garten, im eleganten, hellen Reiseanzuge, einen Strohhut auf dem sorgfältig gekräuselten Haar, den unvermeidlichen Bädeker in der Hand – wahrhaftig, das war Ferdinand Wellborn und kein anderer!

Dem Geheimrat fuhr der Schrecken in alle Glieder. Das konnte nur einen Grund haben. Elfriede hatte ihr Jawort gegeben und ihr Verlobter kam nun, um sich den väterlichen Segen zu holen. Eine andere Erklärung gab es gar nicht für dies plötzliche Auftauchen.

„Friedel, das hättest du mir und dem Robert doch nicht anthun sollen!“ stöhnte der alte Herr verzweifluugsvoll. „Solch einen Schwiegersohn, das halte ich nicht aus!“

Wellborn kam bereits die Stufen der Veranda herauf, prallte aber förmlich zurück, als er den Hausherrn erblickte, den das Weinlaub seinem Blick bisher entzogen hatte.

„Herr Geheimrat – Sie sind wirklich noch am Leben?“

„Warum soll ich denn nicht am Leben sein?“ fragte der Geheimrat, der seinen künftigen Schwiegersohn in ziemlich gereizter Stimmung empfing. „Haben Sie vielleicht etwas dagegen?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0510.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)