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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Nicht neugierig sein. – Ihm selber geben.“

„Sehr wohl! – Gute Nacht!“

Er drückte ihr die Hand, mit dem gemütlichen, leidenschaftslosen Vetterdruck. Als sie nun aber zur Laube zurückkamen und er noch einmal vor Fräulein Jeannette, vor dem „Prachtmädel“, stand, und sie ihm so fest, so unbegreiflich kräftig die warme Hand mit ihrer noch wärmeren drückte, da ward ihm anders zu Mut. „O mein Fräulein,“ fing er an; es kam aber fast kein Ton heraus. „Mein verehrtes –“

Er sah jetzt, daß all die andern ihn anschauten; ihm verging das Sprechen. Er machte seiner Dame nur noch eine verlegene, tiefe Verbeugung, wie vor einer Fürstin; dann ging er im Sturmschritt davon.

Clotilde sah ihm nach, heimlich mitleidig lächelnd. Was hat ihm Luise gegeben? dachte sie dann und suchte das Mädchen mit ihren zärtlichen Augen. Luise stand am Eingang der Laube; sie warf einen Blick hinein; darauf zeigte sich wieder ihr ernsthaftes, fast zu ernstes Gesicht. Sie blickte die Mutter, die sich näherte, wie auffordernd an. Sie winkte mit dem Kopf, zur Laube hin. Was wollte sie? Was meinte sie?

Schnell entschlossen ging Clotilde an ihr vorbei und in die Laube hinein. Dort saß Fanny noch am Tisch, bei den Papierlaternen; sie las leise vor, was sie geschrieben hatte, die beiden Männer lächelten. „Was habt ihr da?“ fragte Clotilde. „Was erheitert euch so?“

„Ach, nur ein kleiner Spaß!“ raunte Fanny, mit ausgelassen vergnügten Augen. „Wir wetten auf Ellenberger und Hänschen: wen wird sie erhören? wer siegt? Ich hab’ tausend Mark auf Hänschen gesetzt –“

Sie wollte weiterreden; nun stockte sie aber vor Clotildens empörtem Gesicht. „Das ist ein schlechter Spaß, meine teure Fanny!“ sagte Clotilde in der ersten Entrüstung zu laut; sie dämpfte dann die Stimme. Sie riß Fanny das Blatt aus der Hand und steckte es in ihre Tasche. „Ihr macht die Pferde zu Menschen, jetzt wollt ihr auch die Menschen zu Pferden machen; der Karneval wird mir doch zu toll!“

Fanny stand auf. Tiefverwundert, bestürzt guckte sie die Schwester an; ihre weltklugen Augen waren nun ganz dumm. Die Männer starrten nicht viel anders. „Was hast du?“ stammelte Fanny endlich. „Warum so empört?“

„Clotilde hat recht,“ murmelte Morland, der geschmeidige; er suchte seine Verlegenheit mit halb ernsthaftem Ausdruck wegzulächeln. „Es ist eine Frivolität!“

Jeannette und Ellenberger erschienen vor der Laube; mit ahnungsloser Neugier schauten sie hinein. Geschwind plauderte Morland weiter, mit einem süßen Blick auf Clotilde: „Also nun das lebende Bild? Meine teure Schwägerin, dürfen wir nun hoffen?“

In der Thür der Laube, hinter Jeannette, bemerkte Clotilde noch ein Gesicht; eigentlich nur die Stirn und die Augen; sie erkannte aber gleich ihr Kind. Sonderbar – und ganz mit des Vaters Blick – schauten die Augen sie an; als wollten sie sagen: thu’s nicht! – Clotilde wußte nicht, was sie wollte; es war ein wüstes Durcheinander in ihr. Die Entrüstung, die Weltrücksicht, die Spiellust; dazu das neue Gefühl für ihr Kind … „Ich bitt’ noch um ’ne kleine Weile Geduld,“ sagte sie, eine Hand am Kopf, als schmerze der noch. „Die Herren und Damen, denk ich, gehn wieder ins Haus; unterdessen erhol’ ich mich ganz und –“

„Das sei fern von uns, daß wir dich bedrängen,“ fiel ihr Morland ins Wort. „Wir sind immer in deiner Schuld!“

Schmeicheln schadet nie! dachte er.

„Mein Gatte hat recht!“ rief Fanny, die sich über seine diplomatische Gewandtheit freute. „Ich find’ übrigens, hier wird’s kühl. Erkält’ dich nur nicht, Tilde. Also Rückkehr in den Konzertsaal, wenn ich bitten darf! Wir machen noch Musik!“

„Gehorsam ist des Christen Schmuck,“ sagte Marwitz lächelnd, zu Fanny und dann zu Clotilden gewandt.

Die Gesellschaft ging; diesmal die drei Herren mit den Papierlaternen voran, die sie aus der Laube geholt hatten. Jeannette schlenderte hinterdrein. Sie that es wohl mit Absicht; denn sie kehrte noch wieder um und war mit ein paar raschen schritten bei Clotilde, die wieder auf ihrer Rasenbank saß. Ebenso geschwind sagte sie, mit halber Stimme: „Ich hab’ übrigens ein neues Verdienst an Ihnen entdeckt, angebetete Frau.“

„Nämlich?“

„Ihren Neffen Hans!“

Darauf lief sie den andern nach.


11.

Clotilde folgte ihr mit den Augen; es war aber ein kriegerischer Ernst darin. Ja, dieser dumme Hans! dachte sie. Den werd’ ich doch vor dir zu schützen suchen, meine teure Jeannette!

Alle waren fort; Luise auch. Wo war die geblieben? – Doch nicht mit den andern ins Haus? – Clotilde schüttelte den Kopf. Das war doch unmöglich! – – Es ward ihr auf einmal so eng, so bang zu Mut; sie fühlte es stark; ihr Verstand stellte sich aber noch immer, als verständ’ er’s nicht. Was will ich denn Schlimmes thun? dachte sie. Ums Herz war ihr aber so schwer, als wollte sie ein Verbrechen begehn; oder als riefe sie eine mahnende Glocke und sie ginge nicht …

Vor Ueberraschung und Schreck stand sie auf. Luise kam von den Gewächshäusern her; sie hatte aus dem kleinen Lusthäuschen des Vaters Hut und Mantel genommen, den braunen Hut aufgesetzt und den braunen Mantel umgehängt. Im ersten Augenblick war Clotilden, als käme Julius selbst. Nun sah sie aber Luisens Lächeln, im Mondlicht. Das Kind blieb vor der Mutter stehn, mit einem militärischen Gruß.

„Wo hast du das her?“ fragte Clotilde. „Vater hat’s gesucht, als er fortging.“

Luise lächelte, wie eine sechzehnjährige Spitzbübin. Immer war aber heut ein gewisser Ernst hinter ihrem Lächeln; auch jetzt.

„Hattest du’s versteckt?“

Luise nickte.

„Warum?“

„Weil – – Ich wollt’ ihn nicht fortlassen. – Er ist aber doch fort!“

„Hm!“ sagte Clotilde bewegt.

Das Mädchen lächelte etwas erzwungen: „Jetzt machst du ,Hm!‘ Du!“

Clotilde sah sie eine Zeit lang schweigend an. „Kind, wie siehst du aus?“ warf sie dann möglichst harmlos hin; es klang aber doch viel hindurch. „Wie – merkwürdig diese Vermummung dir steht. Bist ihm wirklich ähnlich – dem Vater – als er jung war …“

Luise griff nach dem Mantel, um ihn abzulegen; Clotilde machte aber eine abwehrende Bewegung. „Nein, nein, bleib noch so! Ich muß dich noch ’ne Weile so anschauen; im Mondschein. Es hat so was – Märchenhaftes. – Geh, Kind, tritt einmal etwas zurück. Daß du etwas undeutlicher wirst – und ihm ähnlicher. So! – – Was für eine Idee, so zu mir zu kommen. Ich fang’ ja an zu träumen, zu phantasieren, wenn ich dich so sehe. Ich denke, jetzt –“

Ihr ward so beklommen, daß sie nicht weitersprach.

„Was denkst du?“ fragte Luise.

„Ich denke, jetzt wird sie das oder das thun, was der Vater that …“

Luise lächelte. Der Spielsinn in ihr war schnell geweckt; er hatte vielleicht nur auf so ein Wort gewartet. Einen Augenblick dachte sie nach; dann nahm sie eine denkende, sinnende Stellung an, eine Hand am Kopf.

„Richtig! Da thut sie’s schon. – Sehr gut. – Wie du ihm das abgelauscht hast, wenn er so dasteht und in seine Gedanken versinkt. – Sonderbares Kind! – Wo willst du hin?“

Luise trat zu einem der Gebüsche, wobei sie Julius’ Gang nachzuahmen suchte; unter dem Gebüsch blühten Spätsommerblumen. Sie sah auf die hinunter und auf den Busch, aufmerksam, liebevoll. „Weißt du, so steht er morgens im Garten, vor seinen Pflanzen. Stellt sich so hin, weißt du, um zu sehn, was über Nacht geworden und gewachsen ist – “

Clotilde lächelte: „Ja, ja.. Und pflegt sie.“

„Und nimmt hier ’ne Raupe ab – und da wieder eine …“

Das Kind that es ihm nach.

„Und dann bindet er mit furchtbar ernstem Gesicht diese Ranke fest, die so zwecklos in der Welt herumirrt. Und bricht die welken Blätter ab …“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0604.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)