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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

dann wegen ihres raschen Aufblühens „Friedrichs Freudenstadt“ und erst später „Freudenstadt“ genannt worden sei. Den Plan der neuen Stadt hat Herzog Friedrich selbst erdacht und durch seinen berühmten Baumeister Heinrich Schickhardt ausarbeiten lassen. Der Herzog wählte eine völlig quadratische Anlage und Schickhardt führte sie aus, obwohl er nicht damit einverstanden war. Um einen riesigen freien Platz von 141/2 Morgen = 4,6 ha, der noch heute der „Marktplatz“ der Stadt ist, wurden in Parallelen, dem Mühleziehbrett ähnlich, die Straßen rechtwinklig herumgelegt. Die Häuser der inneren-vier Fronten erhielten Arkaden, unter denen noch heute die Freudenstädter Kurgäste bei schlechtem Wetter trockenen Fußes lustwandeln; in jede Ecke des inneren Vierecks kam ein größerer Bau in Form eines Winkelhakens: Kirche, Rathaus, Kaufhaus und Spital, von denen die Kirche und das Kaufhaus bis heute erhalten sind. Die Ecken der äußeren Parallelstraßen erhielten vier Thore, Meisterwerke Schickhardts, die man leider in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts weggerissen hat. Inmitten des großen Platzes sollte ein herzogliches Schloß zu stehen kommen, das aber nie zur Ausführung kam; der Platz war als Exerzierplatz geplant. Herzog Friedrich gedachte nämlich, die Stadt zu einer Festung zu machen, und sein Enkel, Herzog Eberhard III, versuchte 1661, „zu mehrerem Schutz, Rettung und Defension des Landes“, diesen Plan mit beträchtlichen Kosten auszuführen, bis im Jahr 1674 auf einen sachverständigen Bericht des Oberstleutnants Kieser, welcher den Platz zu einer Festung „ganz untauglich“ erklärte, die Bauten wieder eingestellt wurden. (Uebrigens tauchten auch später wieder Befestigungspläne auf, denn Freudenstadt liegt am Fuß des Kniebis, des in der Kriegsgeschichte der letzten Jahrhunderte vielgenannten Schwarzwaldpasses, den die Franzosen so manches Mal als Einfallsthor benutzten. Noch 1821 sollte Freudenstadt deutsche Bundesfestung werden, und 1871 handelte es sich eine Zeit lang darum, eine Garnison hinzulegen, was aber beides nicht zur Ausführung kam.)

Der Marktplatz mit der Kirche.     
 Inneres der Stadtkirche mit Altar und Kanzel.

Die Hauptsehenswürdigkeit der Altstadt ist heute die Kirche, ein bauliches Kuriosum, das einzig dasteht. Wie erwähnt, hat die Kirche, wie die anderen Eckbauten des Hauptplatzes, die Form eines Winkelhakens; zwei Schiffe stoßen rechtwinklig aufeinander, zwei gleich hohe Ecktürme schließen den Winkel ab Diese für eine Kirche nie dagewesene Grundanlage, die sich aus dem Stadtplan ergab, reizte den Baumeister, etwas zu ersinnen, was den Beginn einer eigenen protestantischen Kirchenbaukunst bilden sollte. Bisher hatte es sich die neue Konfession in den von der alten Mutterkirche überkommenen Heiligtümern heimisch gemacht; Schickhardt wollte der neuen Form des Gottesdienstes nun auch neue, ihm angepaßte Bauformen schaffen. Der protestantische Hauptgottesdienst besteht aus Predigt und Gesang der Gemeinde; Kanzel und Orgel sollten also in den Mittelpunkt rücken. So stellte er die Kanzel in die Ecke des Winkels, von wo sie beide Schiffe beherrscht, die Orgel ihr gegenüber. In die Schiffe teilen sich die Geschlechter, so daß die männlichen und weiblichen Kirchenbesucher wohl beide den Pfarrer, aber nicht einander sehen können. Auf die Orgel wurde der Hauptschmuck verwendet; das sie umgebende bilderreiche Schnitzwerk gab eine ganze Geschichte des Alten und Neuen Testaments. Dem Mangel des protestantischen Kults an Emblemen und Symbolen begegnete der Erbauer damit, daß er die netzgewölbte Decke mit den Wappen des württembergischen und der ihm verwandten Fürstenhäuser, mit den Insignien des Hosenbandordens (auf dessen Verleihung der Herzog besonders stolz war) und mit einer Menge Wappen von Städten und Klöstern verzierte. Im übrigen aber genierte man sich auch nicht, in diesen Mischbau von Gotik und Renaissance für Altar, Taufstein, Evangelienpult und Krucifixus altchristliche Kunstschätze herbeizuschaffen, die der Ueberlieferung nach aus dem nahen Kloster Alpirsbach (vgl. „Gartenlaube“ 1898, S. 628), der höchst merkwürdige frühromanische Taufstein aber wahrscheinlicher aus dem ebenfalls benachbarten, noch älteren Kloster Hirsau stammen. Die ganze Farbenpracht der Kirche, die jahrhundertelang übertüncht war, ist neuerdings durch eine gelungene Restauration wieder aufgefrischt worden.

Die Bauformen der Freudenstädter Kirche sind aber in der Folge nicht wiederholt worden, der eigene protestantische Stil ist nicht entstanden. Auch die quadratische Anlage der Stadt hat keine Nachahmung gefunden, denn es zeigten sich bei der Bauart der Häuser ohne Hofräume und dem Umstand, daß in den Parallelstraßen Vorder- und Hinterfronten gegeneinander gekehrt sind, schwere Nachteile, gegen welche die Altstadt noch heute ankämpft. Auch mit dem Riesenmarktplatz, in welchen manch andere schwäbische Kleinstadt hineingestellt werden könnte, hat man bis heute nichts Rechtes anzufangen gewußt. Im Jahre 1826 überließ der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0654.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2023)