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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Fräulein, gebt mir doch einen von den Schuhen unter dem Bett, daß ich ihn der Großmutter an den Kopf werfe,“ knirschte sie, wenn die kindische Alte von etwas anderem sprach als sie erwartete.

Und das schmale Ding wütete, bis ihr der wehe Arm mit dem gebieterischen Befehl des Schmerzes Ruhe gebot.

Zuweilen kam Paltram auf einige Augenblicke in das Kämmerlein hinaufgestiegen und sprach beruhigende Worte, so sicher, als ob die Heilung nur eine etwas schwierige Rechnungsaufgabe wäre.

Und Paltrams Zuversicht war für Cilgia ein Sporn. Täglich aber wurde er finsterer, wortkarger.

Da erschien eines Morgens unvermutet der junge, hochmütige Doktor Troll von Samaden mit dem Landjäger im Kämmerlein Pias, rieb die Augengläser aus, untersuchte ohne viele Umstände das Kind und schüttelte den Kopf.

„Die geht an Brand zu Grund!“

In diesem Augenblick kam Paltram die Treppe emporgestiegen und lächelte den Arzt spöttisch an.

„Die geht an Brand nicht zu Grund – dafür laßt mich und Fräulein Premont sorgen!“

„Der Landjäger wird Euch nach Samaden führen!“ versetzte der Doktor scharf, „Ihr werdet Euch wegen unbefugten Arznens vor Gericht zu verantworten haben!“

„Ihr werdet mich nicht nach Samaden führen lassen, Doktor,“ erwiderte Paltram fest und mit ingrimmigem Blick. „Ihr würdet Euch lächerlich machen.“

So tauschten der Doktor und Paltram gereizte Worte.

„Was gilt’s,“ rief Paltram wütend, „daß meine Arzneikunst, mein chirurgisches Wissen von einem höheren Namen unterschrieben ist als Euer Doktortitel. Habt Ihr den Namen des Professors Lagourdet in Paris gehört?“

„Lagourdet,“ stammelte der junge Doktor erblassend, und wie um seine eigene Wissenschaft zu bezeugen, sagte er: „Das ist der Pariser Wundarzt, der keine Glieder mehr abnehmen, sondern mit einem Muskel- und Nervenbelebungsverfahren Amputationen überflüssig machen will.“

„Er will nicht nur,“ grollte Paltram, „er thut’s. Ich war in St. Etienne Schlosserlehrling, der gelegentlich die Messer und Pincetten für das Militärspital schliff. Ein erster Zufall – und drei Jahre lang war ich dort bei allen schweren Fällen sein Gehilfe. Ehe der Professor nach Paris übersiedelte, sagte er: „Markus, in deinen Bergen wirst du, was du gelernt hast, schon brauchen können. Da hast du einen Schein – mein Name darunter ist dir eine Empfehlung in aller Welt!“

„Zeigt das Zeugnis!“ sagte der Arzt.

„Klagt! Vor Gericht will ich es weisen!“ höhnte Paltram.

„Gut. Ich klage!“

Damit zogen der Arzt und der Landjäger ab – jener blaß, weil er den Triumph im Gesichte Paltrams sah.

In höchster Spannung war Cilgia dem Zusammenstoß gefolgt, und die Niederlage des Doktors freute sie königlich, vieles an Paltram war ihr durch das Gespräch der beiden plötzlich klar geworden. „Ja, wenn man alles von ihm wüßte,“ dachte sie, „würde man alles an ihm verstehen.“

Sie begegneten aber einander immer fremder, ihre Gespräche wurden immer kürzer und kühler, und eines Abends, als Cilgia, von Pia kommend, mit ihrem Buch droben beim Thor des Kirchleins Santa Maria saß, wechselten beide nur den knappsten Gruß und Cilgia sah kaum auf von ihrem Buch.

Da stand er plötzlich still und wandte sich um.

Sie that, als sähe sie ihn nicht, aber die Buchstaben tanzten vor ihren Augen.

Er keuchte vernehmlich wie unter einer schweren Last – und stand – und stand.

Sie aber rührte sich nicht.

Da begann er: „Ich halte es nicht mehr aus. dieses elende Leben! Sprecht mit mir, Fräulein! Sonst – – werde ich ein Thor!“

Cilgia hob die schönen Augen mit einer großen innern Genugthuung. Fast drängte es sie zu einem Lächeln; sie erschrak aber, als sie in sein Gesicht blickte, und kühl erwiderte sie: „Ich habe Euch nichts zu sagen, Ihr begreift doch, daß ich keine Gemeinschaft und Freundschaft mit einem Manne haben kann, der die Mutter vom Kinde wegschießt.“

Da wurde er totenblaß, und stoßweiße kamen die Worte von seinen Lippen: „Cilgia Premont, seid barmherzig wie Katharina Dianti barmherzig gewesen ist – gebt mir die Hand – ich verspreche Euch darein, daß ich in meinem Leben nie wieder eine Gemse noch ein andres Tier töte.“

Da stand Cilgia Premont mit flammendem Antlitz auf.

„Was sagt Ihr, Paltram? – Ihr wäret das imstand? – – – Ueberlegt noch einen Herzschlag lang,“ bebte ihre Stimme, „ob Ihr halten könnt, was Ihr versprecht; die Toten, die in den Gräbern ringsum ruhen, hören, was Ihr sprecht – und es käme nicht gut, wenn Ihr Euer Wort brächet!“

Paltram hatte sich aufgerafft; sein Atem ging schwer, dann blickte er ihr mit vollem, leuchtendem Auge ins Antlitz.

„Ich halte es, so wahr mir Gott helfe! Gebt mir darauf Eure Hand, Cilgia Premont. Es ist mir hundertmal leichter, die Jagd zu entbehren als Euch!“

Mit klarer und fester Stimme und freudig sagte er es.

Da legte sie ihre schmale feine Rechte in seine schwielige Arbeitshand, und ihre freien, offenen Blicke begegneten sich.

„Ich gebe Euch Frieden!“ sagte sie einfach und ruhig.

„Mehr – mehr müßt Ihr mir geben!“ keuchte er wie enttäuscht.

„Um Eures großen Mannesvorsatzes willen schenke ich Euch meine Achtung wieder, die Ihr eine Weile nicht mehr besessen habt.“

Cilgia sagte es ernst – er schwieg. Erst nach einer Pause sagte er dumpf: „Und sonst nichts?“

Sie biß sich verlegen auf die Lippen und schlug errötend die langen Wimpern nieder, dann machte sie plötzlich eine Bewegung, als wollte sie gehen.

Er aber nahm ihre beiden Hände und zog sie an seine Brust.

„Cilgia Premont, – ich bin noch nicht zufrieden! – Ihr habt am Waldesrand dort oben etwas zu mir geredet – und das brennt wie Feuer in mir. Ihr habt gesagt, daß über die Erde Frauen wie jene Katharina Dianti wandeln – und sie wandeln – sie wandeln – denn Ihr selber seid eine Katharina Dianti! Was muß ich thun, daß Ihr Euch mit einem Wort der Liebe zu mir neigt – o Cilgia Premont, ich kann nicht mehr leben ohne Euch!“

Aus glühender Brust rangen seine Worte und seine eindringlichen Augen flehten sie an.

Sie aber zögerte – ja, sie that, als wollte sie sich flüchten.

„Sagt, daß ich die oberste Flamme vom unersteiglichen Piz Bernina hole, und ich hole sie und bringe sie Euch in meinen Händen! Ich will unserm Engadin, dessen Lampe am Erlöschen ist, ein neues Licht anzünden, daß es ihm leuchte und seine Dörfer nicht in Ruinen stürzen! Das ist mein Vorsatz seit jener Stunde, wo Ihr zu mir geredet habt wie eine Apostelin. Und ich halte das Wort, wie ich das andere halte, daß ich nie wieder zur Jagd gehe. O, ich bin stark, Cilgia Premont, ich bin stark wie ein Berg – aber Eure Augen müssen auf mir ruhen.“

Scham und begeistertes Zutrauen standen im heißen Antlitz Cilgias – ihre Augen leuchteten siegreich auf. Sie that einen Schritt gegen ihn.

Sie stammelte und flüsterte: „Ich liebe Euch ja schon lange, Markus, aber Ihr habt es mir so unendlich schwer gemacht.“

Und sie senkte das stolze, schöne Haupt in hingebender Demut.

„Cilgia Premont!“ Erstarrt im Glück stand Markus Paltram und meinte, Himmel und Erde singen ihren Namen. Und ihre Hände fanden sich, sie wußten nicht wie, sie atmeten wie im Traum, Cilgia den Kopf an die Schulter Paltrams gelehnt.

„Ja, Markus,“ flüsterte sie, „du wirst das blutige Bild aus dem Rosegthal austilgen mit Thaten des Segens!“

„Sprich nicht davon – weil du mit mir geredet hast am Waldbord, bin ich mit schlechtem Gewissen zur Jagd gegangen. Ich meinte, es sollte nur das einzige Mal sein – ich ging, weil ich wußte, daß du nicht in Pontresina warst. Da kamst du wie Gottes Strafe zu dem Schuß, und sonderbar – seit du dort wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0679.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2023)