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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

die Zuchtrute des Herrn, die oft genug seinen Unterthanen den nötigen Respekt einprügelte, ohne Unterschied der Person, denn auch die Kammergerichtsräte wurden gelegentlich nicht damit verschont.

Als der König sich niedergesetzt und seine Thonpfeife ergriffen hatte, beeilte sich der Dessauer, der bisweilen aus der rauhen, soldatischen Hülle auch den glatten Hofmann hervorkehrte, den Tabak in der Pfeife des Königs mit einem Fidibus zu entzünden, wozu mit glühendem Torf gefüllte Pfannen dienten. Doch der König riß dem Feldmarschall unwillig den Fidibus aus der Hand, zündete sich selbst die Pfeife an und sagte mit feindlichem Spott:

„Rauch’ Er nur selbst, Dessauer!“

Fürst Leopold war nämlich kein Raucher, doch im Tabakskollegium wäre es ein Verbrechen gewesen, ohne eine Pfeife im Munde dazusitzen. Der Fürst mußte daher kalt rauchen, wie sein Schicksalsgenosse, der österreichische Gesandte von Seckendorf, der gegen das verwünschte Kraut den größten Abscheu hegte, aber als Diplomat es für geboten hielt, des Königs Gunst nicht zu verscherzen, und daher mit der Pfeife im Munde durch fortwährendes Blasen mit der Oberlippe sich den Anschein eines recht wohlgeübten Rauchers gab.

Die ablehnende Bewegung des Königs war Grumbkow nicht entgangen; als der Dessauer ihn fragend ansah, zuckte er mit den Achseln.

In der That, der König war verstimmt, aber nicht bloß das, er war verstimmt gegen sie, seine besten Freunde! Sie fanden keine Erklärung dafür. Das Rätsel war um so unlösbarer, als der König nicht zu den Geheimthuern gehörte, sondern das Herz auf der Zunge zu haben pflegte.

Der Kommandant von Berlin, Quirin de Forçade, aus einer französischen Emigrantenfamilie, wollte den Marquis de la Chétardie, einen Freund, der zum Besuche in Berlin war, in das Tabakskollegium einführen; doch die Stimmung des Königs war so ungünstig, daß er die Bitte kopfschüttelnd ablehnte. „Sie sagen drüben im Reich, ich sei ein Franzose – und ich kann die Kerls kaum ausstehen! Unser Ducksteiner Bier würde mir im Kruge sauer werden, wenn so einer sich hier eindrängte; er würde die Nase rümpfen, als käme er in eine Bauernschenke, wenn er sich auf einen von diesen harten, hölzernen Stühlen setzen müßte! Solch ein Monsieur ist an Polster gewöhnt!“

Die Generale und Obristen lachten herzhaft; es schien, als ob das Eis im Gemüt des Königs aufgetaut sei; doch dann saß er wieder stillbrütend da.

Fürst Leopold hatte seine Hoffnung auf Gundling gesetzt, den Hofgelehrten und Hofnarren, der soeben in die Würde eines Oberceremonienmeisters, eines vor längerer Zeit abgeschafften Postens, eingesetzt worden war. Gundling hatte vom König den Staatsanzug geschenkt erhalten, den sein Vorgänger beim Ordensfest getragen hatte. So erschien er in der Tabagie; ein roter, mit schwarzem Sammet ausgeschlagener Leibrock mit großen französischen Aufschlägen und goldenen Knopflöchern war das Hauptstück; die mächtige Staatsperücke mit herabhängenden langen Locken von weißen Ziegenhaaren, ein großer Hut mit weißen Straußenfedern, strohgelbe Beinkleider, rotseidene Strümpfe mit goldenen Zwickeln, und Schuhe mit roten Absätzen vollendeten die Garderobe.

Der Hofgelehrte mußte im Tabakskollegium in Gala erscheinen; saßen doch auch die Generale in Uniform und mit ihren breiten Ordensbändern am Tisch.

Unter dem Arm brachte Gundling einen Stoß von Zeitungen mit, die er dann vor sich auf dem Tische ausbreitete.

„Les Er, Gundling,“ sagte der König, „aber zuerst, was über Ihn selber gedruckt ist!“

Gundling ergriff ein holländisches Blatt; es enthielt einen Artikel, in welchem er als Hans Narr und Hofspaßmacher verspottet wurde. Der König wußte solche Artikel in die Blätter zu befördern, und es war ein großes Gaudium der Tabagie, wenn Gundling dieselben vorlas; doch dieser blieb ruhig und gleichgültig, Wie wenn er auf dem Katheder stände. So las er auch heute den Schmähartikel auf sich und übersetzte ihn dann ins Deutsche für alle die Hörer, welche der fremden Sprache nicht wie der König mächtig waren.

Ein Bravo, begleitet von Säbel- und Sporengeklirr, belohnte den Vortragenden dafür, daß er so selbstlos den anderen den Zerrspiegel vorhielt, in welchem sein eigenes Gesicht die tollsten Grimassen schnitt.

Auch der König schmunzelte und that ein paar behagliche Züge aus seiner Pfeife; dann aber versank er wieder in düsteres Sinnen, als Gundling eine Menge politischer Artikel vorlas und den Generalen erläuterte. Da zeigte der kleine geputzte Mann, der vielverspottete Hofnarr, eine geistige Ueberlegenheit, welche die Männer des Säbels widerwillig anerkennen mußten. Es herrschte damals in Europa eine Stickluft, schwül und niederdrückend, und keiner der versammelten Kriegsherren vermochte klar in die Zukunft zu sehen. Man hatte gegen die Schweden gekämpft; jetzt aber schien es, als würde Preußen mit ihnen und Rußland gemeinsame Sache machen. Da war die Mecklenburgische Frage: der Kampf des Adels gegen den Herzog Karl Leopold, bei welchem Kaiser und Reich und die andern deutschen Fürsten für den Adel, Preußen und Rußland für den Herzog Partei nahmen. Wie aber würde sich der neue Polenkönig, Kurfürst August von Sachsen, stellen, wenn Schweden und Preußen Hand in Hand gingen? Im Süden regte der spanische Minister Alberoni, die Ansprüche der Königin Elisabeth Farnese vertretend, Italien gegen Oesterreich auf, gleichwie er dem Prätendenten Jakob Stuart in England seine Unterstützung lieh.

In dieses Bild des zerrütteten Europa war ein kleineres eingefügt, dasjenige des bedrohten Preußens. Die Generale dachten nur darüber nach, wohin ihre Regimenter marschieren würden; doch die sorgenvolle Stirn des Königs zeigte, daß Gundlings Berichte großen Eindruck auf ihn machten. Der kleine Mann drängte sich nicht vor mit eigenen Meinungen, aber er wußte doch allem, was er las, eine bestimmte Färbung, eine deutliche Richtung zu geben, und es klang aus seinem Vortrag heraus: „Das Vaterland ist in Gefahr! Mögen die Minister und Generale zusehen, daß es keinen Schaden erleide!“

Fürst Leopold merkte, daß des Königs Stimmung durch dergleichen Zeitungsberichte nur noch mehr verdüstert werden müsse. Deshalb war er darauf bedacht, sie mit den starken Mtteln die er vorbereitet hatte, wieder aufzuheitern. Er verließ das Zimmer und kam bald darauf zurück mit einem fragwürdigen kleinen Geschöpf, das denselben roten Leibrock wie Gundling, dieselbe riesige Perücke mit den Ziegenlocken, denselben Hut mit den Straußenfedern trug. Ein wohlerzogener Affe gab sich Mühe, seinem Vorbilde Ehre zu machen.

Der Fürst stellte ihn als Gundlings Sohn vor und verlangte, daß der Vater ihn in Liebe umarme, ein Verlangen, welches durch den einstimmigen Zuruf der Tischgenossen unterstützt wurde. Gundling spielte nicht lange den Spröden, es würde ihm wenig genützt haben; er umarmte den neuen Gast der Tabagie und mußte es sich gefallen lassen, daß dem jüngeren Gundling neben dem Vater ein Platz auf einem Stuhle eingeräumt wurde.

Ein schallendes Gelächter der Tabagie belohnte diese Familienscene. Doch der König blieb ernsthaft. In Gedanken versunken, hüllte er sich in Rauchwolken ein.

Die Nachbarn fuhren fort, den Oberceremonienmeister und den verheißungsvollen Sprößling desselben zu necken.

„Wird auch zu hohen Ehren gelangen, der junge Gundling! Er hat das Talent von seinem Vater geerbt – sauf Er einmal, junger Bursch’! Der Alte versteht das auch. Trink’ Er den Papa untern Tisch.“

Da erhob sich plötzlich der König.

„Laßt das – bin mit Gundling zufrieden – hat gesunden Menschenverstand – und das ist viel wert; will ihn belohnen! Noch morgen soll er sein Diplom erhalten als Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften. Der Leibniz ist abgegangen – der dumme Kerl, der mit meiner seligen Mama zu meiner größten Langweile über hundert Dinge gesalbadert hat, von denen beide nichts wissen konnten! Gundling zerbricht sich und anderen nicht den Kopf über dergleichen – er wird seine Sache besser machen.*

Der König verließ das Zimmer – die Sitzung war aufgehoben. Alle schritten mißvergnügt zur Thüre hinaus. Nur Gundling und der Affe, den niemand mehr beachtete, blieben am Tische sitzen.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0786.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2023)