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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

ungarischen Edelmann das Gartenpförtchen auf und empfing dafür den goldenen Lohn. Clement fand sich zwischen den Gartenmauern, welche die Wege umgaben, leicht zurecht. Zuletzt verengte sich der eine Weg in einen schmalen Fußpfad, der sich mühsam zwischen dem Gemäuer dahinwand und an einem unscheinbaren Pförtchen endete. Clement öffnete es mit einem Schlüsselchen und trat in einen von blattlosem Strauchwerk dichtbewachsenen Garten – hohe Linden umstanden in einem Viereck einen Pavillon, aus dem ein schüchterner Lichtschein durch farbige Fenster fiel. Clement klopfte vorsichtig an eine Scheibe und nannte seinen Namen. Die Thür öffnete sich sogleich, und der Ungar stand einer Frauengestalt gegenüber von prächtiger Schönheit, mit jenen großen Augen, welche die Alten der Gemahlin des obersten der Götter zuschrieben, aber doch von einem Liebreiz in den Zügen, welcher mehr an die Göttin der Liebe und Schönheit erinnern mochte. Ihr Lächeln hatte etwas Bezauberndes und gewann alsbald die Herzen derjenigen, die ihre Hoheit und Majestät einzuschüchtern drohte. Den Zwang der Hoftoilette hatte sie hier abgelegt, der stolze Bau der Hoffrisur war zerstört, sie empfing den Eintretenden mit einem glühenden Kuß.

Es war die Hofdame und Vertraute der Königin, Frau von Blasspiel, und wenn sie einem Diplomaten hier eine Audienz erteilte, die mit den feierlichen Audienzen in Berlin und Potsdam nichts gemein hatte, so mochte sie dies damit rechtfertigen, daß dieser Diplomat ihr Geliebter war, mit dem sie in Dresden sonnige Tage verlebt hatte. Sie war eine Freundin des in Dresden allmächtigen Ministers, des Feldmarschalls Grafen Flemming, und dort hatte sie bei einem Besuch den jungen Ungarn kennen gelernt, der damals in Flemmings Kabinett eine wichtige Rolle spielte als einflußreicher Berater.

„Wie freu’ ich mich, dich hier zu sehen,“ sagte Charlotte von Blasspiel, „es ist so nüchtern an der Spree, weit schöner war’s an der Elbe!“

„Leider bin ich ein Gefangener,“ versetzte Clement, „ein Gefangener des Königs!“

„Pah,“ sagte Frau von Blasspiel, „das sind wir alle mehr oder weniger – und wenn’s nach ihm ginge, müßten wir alle uns von Gefangenenkost nähren.“

„Doch ich bin hier in geheimer diplomatischer Sendung.“

„Vom sächsischen Hof?“

„Ich bin ein Diplomat auf eigene Rechnung.“

„Auf eigne Rechnung?“ fragte die Hofdame erstaunt.

„Ja! Doch das kann ich dir offen sagen: noch immer bin ich der treue Diener des Siebenbürger Fürsten Ragoczy, den sie so schmählich seines Thrones entsetzt haben, und seines Freundes, eines politischen Genies von erstem Rang, des spanischen Ministers Alberoni.“

„Doch was geht des Fürsten Schicksal uns hier an der Spree an?“

„Sehr viel! Denn unsere Pläne können nur gelingen, wenn in Deutschland Zwietracht waltet und Oesterreich und Preußen aufs äußerste entfremdet werden.“

„Und deine Aufgabe in Berlin ist –?“

„Den Dessauer und den Grumbkow aus der Gunst des Königs zu verdrängen, sie zu stürzen!“

Jetzt leuchteten die Augen der Blasspiel auf in der Glut des Hasses. „O, da begegnen wir uns, mein Einziger! Wie herrlich, daß die garstige Politik uns nicht voneinander trennt, wie ich schon fürchtete; daß wir auch hier die gleichen Wege gehen!“ Und sie schloß den Ungarn mit feuriger Hingebung ans Herz. „Der Dessauer und der Grumbkow – das sind die erbitterten Feinde der Königin! Wir trauen ihnen nichts Gutes zu – der König ist in ihrer Gewalt wie das Heilige Grab in der Gewalt der Türken. Alle beugen sich vor ihnen, nur wir nicht! Wir tragen stolz unser Haupt – wir von der Königin! Weihe mich ein in deine Pläne, ich bin zu jeder Hilfe bereit!“

„So kann ich fest auf dich zählen, Charlotte?“ rief Clement voll Feuer. „Du bist meine Bundesgenossin? So lass’ mich denn gleich eine Bitte aussprechen!“

„Wir haben uns in sehr ernste Dinge verwickelt,“ versetzte Frau von Blasspiel zögernd, „was werden die ungeduldigen Amoretten dazu sagen?“

Ein glühender Kuß war die Antwort. „Charlotte – ich will, ich muß dies schöne Asyl der Grazien hier entweihen, wenn du es gestattest! Diese Marmorgötter und Göttinnen sollen auf stahlharte Männer herabsehen, denen zur Bewunderung für ihre Schönheit die Muße fehlt; diese lächelnden Schönen des Olymps auf den Wandgemälden sollen die unempfänglichen Herzen ihrer Gäste nicht rühren!“

„Wovon sprichst du?“

„Ich bitte dich, hier dies Heiligtum entweihen zu lassen durch eine Zusammenkunft politischer Männer, es sind meine Mitverschwornen. Sieh’ hier die Briefe – sie enthalten die Einladung auf morgen hierher für die jetzige Stunde. Laß sie an ihre Adressen besorgen durch einen verschwiegenen Boten!“

Charlotte nahm die Briefe in Empfang und las die Adressen. „Freiherr von Heidekamm – das ist wenigstens ein feiner Herr, der paßt in das Boudoir, und er hat Geld genug, um sich das Leben zu vergolden! Der weimarische Resident Lehmann – den hab’ ich in Dresden gesehen; das ist ein Mensch mit Aktenrunzeln und einem bösen Gewissen, er hat etwas Schleichendes in seinem Gang, und Sekretär Bube – der erscheint gewiß im Salon mit der Feder hinterm Ohr! Das ist keine Gesellschaft, die hierher paßt – könnt ihr nicht in einer dunkeln Gasse zusammenkommen?“

„Es geht nicht – zu groß ist die Gefahr, entdeckt zu werden!“

„Nun, so sei es! Ich werde die Briefe besorgen und die nötigen Anordnungen treffen! Du hast ja den Schlüssel zur hinteren Gartenthüre; du kommst zuerst und sie bleibt offen. Ist’s in den Briefen vorgesehen, daß sie dort eintreten?“

„Ja, ich habe ihnen die Thüre genau bezeichnet.“

„Und nun genug von Politik und Verschwörung – ich habe dich wieder, ich halte dich! Dein Auge flammt mir wieder sein Feuer in die Seele! Leben ist nur bei der Liebe, der Leidenschaft: solche kostbare Augenblicke wiegen lange Jahre auf!“

Es war ein Glück, daß der Domprediger Jablonski diesmal eine sehr lange Sitzung hatte mit seinen Amtsbrüdern, mit denen er über die Reformierten in Böhmen, deren Bischof er war, verhandelte; denn wäre er rechtzeitig nach Hause gekommen, so hätte er seinen Gast vermißt, welchen Sebaldus in tausend Aengsten erwartete. Clement kam sehr verspätet nach Hause; die von den Grazien umtanzte Uhr auf dem Kaminsims der schönen Frau war stillgestanden und hatte versäumt, mit ihrem Glockenschlag den Weckruf aus süßen Träumen ertönen zu lassen.

Am nächsten Tag erschienen die Verschwornen pünktlich im Pavillon; es war, als ob die gemalten und gemeißelten Götter diese nüchternen fremden Männer mit Staunen und einer gewissen Geringschätzung betrachteten – was suchten sie im Heiligtum der Liebe und Schönheit? Sie hingen an den Statuen der Göttinnen ihre Mäntel auf, alle Taschen derselben steckten voll von Papieren.

Das vornehmste Mitglied des Geheimbundes war Freiherr von Heidekamm, ein noch junger Mann mit verwüsteten Zügen, lauernden Augen, aber von hofmännischer Haltung. Er gehörte zu jenen verkommenen Adeligen, welche dem Staate die zweifelhaftesten Dienste leisten und sich auch dort noch verwenden lassen, wo die bürgerliche Moral sich sträubt. Er war ein Sohn des Schatzmeisters und Finanzrats Heidekamm, der von dem Großen Kurfürsten geadelt worden war. Der Finanzrat hatte seinem Sohn eine glänzende Erziehung gegeben und ihm ein großes Vermögen hinterlassen. Der Sohn war Kammerjunker des Großen Kurfürsten gewesen, hatte unter König Friedrich I verschiedene diplomatische Stellen bekleidet, aber dabei durch verschwenderischen Aufwand sein Vermögen eingebüßt. Sein früherer Hofmeister, der Minister Jlgen, wollte wenigstens einige Früchte seiner Erziehung ernten und verwendete den jungen Baron als Spion bei König Karl XII in Stralsund, wo er sich während eines Konseils unter dem Bette desselben versteckt hatte. Da indes der König nicht ausging, mußte der Lauscher auch die ganze Nacht in dieser unbequemen Lage verharren. Trotz der Verdienste, die er sich durch solche aufopfernde Thätigkeit um den Staat erworben hatte, strich ihm König Friedrich Wilhelm I, der an solchen Dienstleistungen keinen besonderen Geschmack fand, die Pension, die Friedrich I ihm ausgesetzt hatte – und da wurde Heidekamm ein Haupträdelsführer im Lager der mißvergnügten Beamten, deren Zahl sehr groß war, denn wo sich irgend Striche durch Gehälter und Pensionen anbringen ließen, da war der König rasch bei der Hand; kam diese Sparsamkeit doch dem Militär zu gute; für sein Heer scheute er keinen Aufwand. Zu diesen grollenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0791.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)