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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Lorenz auf die Bank setzte. Etwas scheu that es Landola. Als das Kind sie wie eine Wundererscheinung betrachtete und keinen Blick von ihr wandte, mußte auch Cilgia lächeln.

„Was hast du mit mir, Landola?“ fragte sie gütig und streichelte das reizende Köpfchen.

„Ihr habt so schöne Augen – sind sie neu?“ versetzte die Kleine schüchtern und drollig. Da konnte sich Cilgia nicht enthalten, sie herzte das hübsche Wesen.

In diesem Augenblick kam Markus Paltram vom Bergwald her, im grauen Jägergewand, das Gewehr und einen Gemsbock auf dem Rücken – das menschgewordene Gebirge in seiner Schönheit, in seiner Kraft und seinem geheimnisvollen Reiz.

„Vater!“ schrie Landola und entwand sich den Armen Cilgias.

Er stutzte, eine Blutwelle, ging über sein Gesicht, er bebte vor dem Bild. „Cilgia Premont – Ihr da – und Ihr seid lieb zu meinem Kinde?“

Es war, als gehe ein heiliger Schrecken über den Gewaltigen, und die Kinder sahen einander verwundert an.

Da erhob sich Cilgia in glühender Verlegenheit – sie zitterte wie der Mann vor ihr. „Markus! – Ich muß gehen!“

„O, nur noch einmal mit Euch reden, Cilgia Premont!“ bat er.

„Nicht jetzt, nicht vor meinem Lorenz! Aber ich komme von St. Moritz nach Pontresina zurück, es ist vielleicht gut, wenn wir zusammen sprechen. Es hat mich sehr gefreut, daß mein Wort zu Puschlav so herrliche Früchte getragen – ich danke Euch für die Errettung der sieben Leute.“

„Ich kann alles, wenn Ihr mit mir seid, Cilgia!“

Die Geißen kamen wie einst mit ihren Glöckchen vom Berg, eine übermütige Schar, eine Hirtin führte sie, wie einst Pia, und über die Berge zogen die Rosenschiffe der Abendröte wie einst. In tiefer Bewegung schritt Cilgia hinunter gegen das Dorf.

„Es geht nicht!“ flüsterte sie und blickte nach ihrem Knaben.

Der aber schwärmte für den König der Bernina, den großen Jäger.

Am andern Tage ging Cilgia mit Lorenz, mit dem Pfarrer und dem Maler durch den schönen Lärchenwald, in dem der dunkle Statzersee liegt, nach St. Moritz hinüber zur festlichen Eröffnung des Bades.

Das Pestalozzi-Denkmal in Zürich.

Und wieder leuchtete vor ihnen der lichte See von St. Moritz mit grünen und blauen Strahlen im Kranz grüner Wälder und Wiesen und des weißen Schneegebirges, während das freundliche Dörfchen auf anmutiger Höhe grüßte. Zwei Boote lagen wieder am Ufer, darin standen zwei Männer: der feine Luzius von Planta und Konradin von Flugi, der Dichter. Ein herzliches „Grüß Gott!“ erscholl und die bekränzten Kähne mit den Gästen zogen über den See und glitten ein Stück innwärts empor. In den grünen Wiesen flatterten auf einem stattlichen Neubau die Fahnen.

„So sind denn die Träume unserer Jugend wahr geworden,“ sagte Herr Konradin.

Cilgia aber fuhr sich über die schöne Stirne. Sie dachte an einen Traum, der nicht wahr werden konnte! – –

In der Halle des schlichten geschmackvollen Steinbaus sprudelte der Sauerquell im kristallklaren Bronnen mit einer Mächtigkeit, die zuvor kein Mensch geahnt hatte. Die Quellen zusammen waren ein Bach. Und an der Wand, hinter der die Badezellen lagen, stand als Inschrift das Gedicht, das der große Albrecht von Haller dem Engadin und den Engadinern gewidmet:

„Allhier bekränzt der Herbst die Hügel nicht mit Reben,
Die Erde hat zum Durst nur Brunnen hergegeben.
 Wohl dir, vergnügtes Volk!
Das Schicksal hat dir hier kein Tempe[1] zugesprochen;
Die Wolken, die du trinkst, sind schwer von Reif und Strahl,
Der lange Winter kürzt des Frühlings späte Wochen,
Und ein verewigt Eis umringt das kühle Thal,
Doch deiner Sitten Wert hat alles das verbessert;
Der Elemente Neid hat dir dein Glück vergrößert!“

Mit ein paar Blumen um die Röhren, aus denen die Wasser sangen, mit ein paar Wimpeln auf dem Dach bildete die Inschrift den ganzen Festschmuck des Gebäudes.

Neugieriges Landvolk strömte und kostete die Quelle.

„Das ist ein gutes Zeichen, daß Ihr kommt!“ rief Lorsa Cilgia freudig entgegen und bot ihr den Willkommentrunk.

Köstlich wie einst schmeckten die Wasser.

„Ich bringe Euch noch jemand mit,“ antwortete sie, „den Maler Ludwig Georgy – er ist eben nach zwei Jahren Aufenthaltes von Rom zurückgekehrt und sieht das Engadin zum erstenmal im Sommer. Er ist hingerissen von seiner Schönheit, er will den Morteratschgletscher und die Bernina malen – ich empfehle Euch den Künstler, es ist leicht mit ihm Freund sein!“

Es war ein stilles Fest in St. Moritz, denn unter der Freude wogten die Sorgen. Früher als die Gesandtschaft, die noch in Wien weilte, waren die Freunde ans Ziel gekommen, das Bad war gebaut, aber wird es im vergessenen Engadin Gäste finden?

In seinem Heim wollte Herr Konradin mit Menja die Gäste, welche das Bad besuchen würden, empfangen.

„Junker Konradin von Flugi, der einstige Privatsekretär des Königs von Neapel, der Dichter des Ladins, der erste Gastwirt zu St. Moritz und seine Hausfrau!“ Darauf erhoben die Freunde bei dem kleinen Familienfest ihre Gläser.

Man sprach auch von der Gesandtschaft Bündens, die nun im zähen Festhalten an ihren Forderungen bald ein Jahr in der fernen Stadt weilte. Die Berichte, die sie heimschickte, waren niederschlagend. Verschleppungen, Vertröstungen, Ausflüchte! Unterdessen hatte sich im Veltlin die österreichische Verwaltung festgesetzt, und die österreichischen Beamten thaten nicht so, wie wenn sie es je wieder zu verlassen gedächten. Die wiedererwachten Hoffnungen, daß das Thal in den Besitz der Bündner zurückkäme, verflackerten wie Strohfeuer.

Das dämpfte den Jubel.

Der fröhlichste Gast war der deutsche Maler, der gerade in der Zeit des Gärens und Reifens stand.

„Ich merke, hier ist gut sein – ich bleibe bis zum Herbste da – ich arbeite! – Vor diesen flammenden Bergen, vor den innigen blauen Seen will ich Künstler werden. – Es giebt ja wahrhaftig vom Rhein und Thüringer Wald in Deutschland Gemälde genug – es giebt sie schon vom Vierwaldstättersee, vom Berneroberland. Aber wer hat je Bilder aus dem Engadin gesehen? Da ist eine neue Welt, ich versuche es, ich gründe vielleicht darauf meinen Ruf!“


  1. ein überaus fruchtbares Thal im alten Thessalien.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0813.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)