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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

unter der leichten Hülle, die sie hier an Stelle des schweren Hofkleides trug. Sie lauschte, ob nicht irgend ein Schritt draußen auf dem knirschenden Kies vernehmbar werde.

Endlich kam Clement. Charlotte rief: „So hab’ ich dich wieder!“ und schloß ihn mit glühender Leidenschaft ans Herz.

„Wenn ich zurückgekehrt bin in die Höhle des Löwen,“ sagte Clement, „so trägt dein Zauber die Schuld – ich fange an, seine Tatzen zu spüren! Man hat ihn gegen mich aufgehetzt, doch ich habe glücklicherweise einen magnetischen Blick, der das Untier im Bann hält.“

„Und Eure Waffen sind indessen hier geschmiedet worden,“ versetzte die Hofdame, indem sie einen Schlüssel aus dem Busen nahm und einen Wandschrank öffnete, der unkenntlich in die Mauer eingefügt war, „dieser Stoß Papiere hier kommt von Heidekamm, dieser von Bube, dieser von Lehmann – allerlei Staatsgeheimnisse und genug Handschriften, um den Teufel an die Wand zu malen!“

Clement griff hastig nach den Papieren und begann, sie mit kundigem Blick zu durchfliegen. Aber die toten Buchstaben tanzten bald vor seinen Augen, jetzt wo die lebensvolle Schönheit an seiner Seite stand, in den junonischen Augen das Feuer der Leidenschaft.

„Ich habe für dich gekämpft,“ sagte sie, „denn es ging hier hart her in deiner Abwesenheit! Daß dieser Leopold von Dessau mit seiner bärbeißigen Offenherzigkeit ein gefährlicher Jntriguant ist, das weiß ich jetzt mit Bestimmtheit, denn ich kann selbst ein Liedlein davon singen. Kaum warst du fort, so erkrankte der König in Brandenburg, wo er gerade Truppenschau hielt; die Krankheit schien ernst und schwer zu sein; die Königin wurde hinberufen und ich war die einzige Dame, die sie als Begleiterin mitnahm. Sobald sie angekommen war, händigte er ihr ein versiegeltes Paket ein, in dem, wie er sagte, sein Testament enthalten sei, das sie zur Regentin aller seiner Länder ernenne; sie solle die Sache geheim halten, damit nicht diejenigen, die er von der Regentschaft ausgeschlossen habe, ihn beunruhigten, damit er in Frieden sterben könne. Doch Fürst Leopold und Grumbkow hatten Kunde davon erhalten und erschienen in Brandenburg – o, sie waren sehr liebenswürdig gegen mich und boten mir eine große Summe an, wenn ich die Königin bewegen würde, daß sie die hohen Herren in den Regentschaftsrat aufnähme; sie kannten meinen Einfluß auf die Königin und wollten ihn nützen, wenn sie mich auch haßten von Herzensgrund! Ich wies ihr Geld zurück, sagte ihnen einige Schmeicheleien, hinter denen sie wohl ein leises Hohngelächter bemerkt haben werden; ich machte der Königin Mitteilung und diese erzählte alles dem König. Als aber die edlen Genossen sich zum König drängen wollten, da empfing sie die Königin und bedeutete sie, der König sei jetzt nicht für sie zu sprechen und sähe es am liebsten, wenn sie Brandenburg sofort verließen – o, die Königin hat einen Stolz – vor dem werden sie alle klein! Der König, mit dem es sehr schlecht zu stehen schien, wandte sich inzwischen an einen Regimentsmedikus, der die Sache energisch angriff und ihn durch eine wahre Pferdekur wieder herstellte.“

„Nun, und die beiden Waffenbrüder?“

„Sind wieder ein Herz und eine Seele mit ihm. Dieser König ist ein Schwächling, ein schwankes Rohr, der sich als Tyrann drapiert, damit man das windelweiche Unterfutter nicht merkt.“

„So verzweifl’ ich noch nicht! Was ich in den Briefen festgehalten habe, das sind Aeußerungen des Prinzen Eugen und der andern, ich habe in Buchstaben dem flüchtigen Wort Dauer gegeben. Morgen früh muß ich fort – doch ich kenne die Furcht nicht! Wir sehen uns wieder – und jetzt bis zum Abschied keine Politik mehr, das ist ein unselig Handwerk – selig macht nur, was Herz zu Herzen zieht – die Liebe!“


Wochen vergingen – Clement besorgte im Haag seine diplomatischen Geschäfte. Major Dumontin, der ihn von Berlin herbegleitet hatte, ließ ihn gewähren, doch mahnte er zuletzt an die Rückkehr. Clement sträubte sich durchaus nicht, packte sorgfältig die beweiskräftigen Briefe und Akten zusammen, die er durch einige neue vermehrt hatte: Heidekamm, Lehmann und Bube hatten ihn ja mit Schreibmustern versehen, die er sorgfältig kopierte.

Nun trat er mit Major Dumontin die Rückreise an, leichten Sinnes, wie es schien, doch nicht ganz ohne Bedenken. Als sie in Cleve auf preußischem Boden angekommen waren, schien er sich eines andern zu besinnen, er erklärte dem Major, daß er noch einige Papiere im Haag vergessen habe und noch einmal dorthin zurückkehren müsse, um sie zu holen. Mochte dies wirklich der Fall oder nur ein Vorwand sein – der Major, welcher zwar den Befehl erhalten hatte, kein Mißtrauen zu zeigen, und im Haag danach verfahren war, glaubte jetzt, dieser Order nicht weiter Folge leisten zu müssen, er nahm eine strenge Miene an, verbot die Rückreise, und Clement, so gefügig er sich auch wieder zeigte, hatte doch jetzt das Gefühl, daß er wie ein Gefangener behandelt werde.

In Berlin angekommen, wurde er beim Minister von Marschall zu Tisch eingeladen; doch er war noch nicht beim Dessert angekommen, als der Minister sich erhob, Clement für verhaftet erklärte und ins Gefängnis abführen ließ. Während seiner Abwesenheit hatten Fürst Leopold und Grumbkow den König wieder ganz in ihre Gewalt bekommen; auch daß es stille war von all den Plänen und Anschlägen gegen ihn, daß auch kein leises verdächtiges Zeichen auf eine von Wien und Dresden aus gegen ihn gerichtete Verräterei hinwies, kam ihnen zu Hilfe.

Leopold verlangte die strengste Untersuchung, mit welcher der Generalauditeur von Katsch beauftragt wurde, einer der strengsten und gefürchtetsten, aber auch ungerechtesten Richter, welcher kein anderes Ziel kannte, als die Angeklagten schuldig zu finden, und unermüdlich darin war, ihnen eine Falle zu stellen. Er verhörte Clement noch am Tage seiner Verhaftung in der Hausvogtei in Spandau. Dem Verhör wohnte der König bei, und merkwürdigerweise schwand währenddessen sein Groll gegen den Angeklagten, der sich aufs gewandteste und freimütigste verteidigte und immer wieder auf die schriftlichen Urkunden hinwies, deren Unechtheit zu beweisen selbst ein so strenger Untersuchungsrichter wie Herr von Katsch nicht imstande war. Der König wollte schon befehlen, daß der Angeklagte wieder freigelassen werde; doch Herr von Katsch, der seine Opfer krampfhaft festhielt, setzte sich mit großer Entschiedenheit zur Wehr.

„Noch giebt es Mittel, Geständnisse zu erzwingen! Die Justiz ist noch nicht bankerott! Sire – erlauben Sie mir, beim nächsten Verhör diese starken Mittel anzuwenden!“

Der König gab mißvergnügt seine Zustimmung, und beim nächsten Verhör erschienen unholde Gesellen, die Henker mit ihren Marterinstrumenten, mit Peitsche und Daumenschrauben, mit der pommerschen Mütze und dem gespickten Hasen, und, wie’s Brauch war, übernahm es der oberste dieser Justizgehilfen, dem Jnkulpaten die Bedeutung jedes Marterwerkzeugs auseinanderzusetzen und seine Gebrauchsanweisung zu geben. Clement war mutig genug, dem Tode ins Auge zu sehen, aber schon vor dem Bilde dieser körperlichen Martern schreckten seine Nerven zurück; er warf sich dem Könige zu Füßen und bekannte, er habe die Briefe selbst geschrieben, das ganze Komplott sei seine Erfindung gewesen; er flehte den König an, ihn nicht den fremden Höfen auszuliefern.

Doch nicht einmal dieses eigne Geständnis überzeugte den König von Clements Schuld. Die Furcht vor der Folter konnte es erpreßt haben, und dann – warum sollte er sich vor den fremden Höfen fürchten, wenn er nicht die Geheimnisse derselben ausgeplaudert hätte? Und wenn er sie ausplauderte, war es nicht ein Dienst, den er dem Könige leistete? Und so kam immer wieder das Gefühl des Königs ins Schwanken, und leise Regungen zu Gunsten des Angeklagten verwirrten stets von neuem sein Urteil. So bei einem anderen Verhör, wo Clement bekannte, er habe alles nur gethan, um sich eine Summe Geldes zu verdienen, mit der er sich zurückziehen und ein ruhiges Leben beginnen wollte. Wußte der König nicht, daß er damals die angebotene Summe von 10 000 Thalern zurückgewiesen hatte? Und wenn er jetzt so gegen sich selbst zeugte und sich der Habsucht anklagte, war dies nicht eine offenbare Lüge?

Wieder erschienen im Verlaufe der Untersuchung die Henkersknechte, als es galt, durch ein Geständnis Clements seine Mitschuldigen zu erfahren. Doch dazu bedurfte es der Daumenschrauben nicht und nicht des gespickten Hasen – Clement zögerte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0827.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2023)