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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

zu: Ludwig Georgy – Markus Paltram. – Es erschien ihm wie eine höhere Fügung, daß der Künstler, der den Ruhm des Engadins durch seine Bilder in die Welt verbreitete, ein Geretteter des grauen Jägers sei, und Ludwig Georgy war der erste, der das Verdienst auf Markus Paltram schob.

„Die verfluchte Lawine,“ scherzte er burschikos, „war für uns alle ein Glück! Ich säße ohne sie irgendwo, ein Genremaler unter tausend deutschen Genremalern – nun aber hat mir das Glück die frische, wunderherrliche Stoffwelt des Engadins zugewiesen und ich male sie, weil ich dabei mein Leben finde und ein bißchen Ehre in der Welt – ich male sie im Grund heillos eigennützig!“

Dazu schlug Ludwig Georgy sein hellstes Lachen an, das Lachen eines goldigen, harmlosen Menschen.

Nein, sein ganzes Wesen widersprach der Rolle des rettenden Helden.

Aber Markus Paltram, der geheimnisvolle!

Er wachte an den Pässen, und Winter um Winter, Jahr um Jahr gelangen ihm merkwürdige Rettungen – ihm, der so viele Jäger erschossen haben sollte!

Zu den vielen Legenden, die über ihn gingen, bildete sich eine neue: er hätte die Not des Engadins heben sollen, aber er war ein Camogasker und nicht rein genug!

Markus lächelte wehmütig dazu: „Ja, nicht rein genug!“ Er schritt seinen einsamen Weg, und um die Fremden, die durch die Dörfer streiften, kümmerte er sich nicht.

Desto mehr sie sich um ihn.

Der große Sonderling von Pontresina, ein einfacher Jäger und doch ein König, der hocherhobenen Hauptes durch sein Volk dahinschritt!

Seine Erscheinung und sein Leben fesselten sie, seine Hütte mit dem bemoosten Wasserrad, mit der Esse, aus der nie mehr Feuer schlug, wurde mit dem stimmungsvollen Kirchlein Santa Maria in der Höhe ein Wallfahrtsort der fremden Engadinschwärmer.

Das Wort „König der Bernina“, das zuerst ein zorniger Schimpf der Engadiner auf die Anmaßungen Markus Paltrams gewesen war, wurde im Munde der Gäste ein Ehrentitel.

„Wir haben den König der Bernina gesehen – er ist wie ein wandernder Fels!“

Und sie glaubten, sie hätten etwas Großes erlebt.

Als Jolande zwölfjährig wurde, verbreitete sich eine sonderbare Kunde – um so rascher, da fast alle Gäste die reizvolle Gestalt kannten.

Als Knabe verkleidet, begleitete sie den Vater auf die Jagd. Und was zuerst nur Gerücht war, das bestätigten bald manche aus eigener Anschauung. Ja, den Leuten der Berge fiel es gar nicht besonders auf. Denn italienische Wildheuerinnen, die in Männerkleidern das Gras der Felsenplanken sicheln, gab es in den Grenzbergen von jeher, und es war nicht unerhört, sondern genugsam überliefert, daß Engadinerinnen schon früher in Männerkleidern zur Jagd in die Berge gegangen waren, wo die Mädchen- oder Frauenkleider nichts wert sind.

In Pontresina gewöhnten sich die Leute bald an sie oder an ihn, an Landolo, wie Markus Paltram seinen Jägerknaben nannte.

Wie der Vater ging er in Grau.

Aber eine Mädchenart blieb dem feinkecken Burschen: er trug gern eine leuchtende Blume auf der Brust und errötete leicht wie ein Mädchen, auch erschien er für sein Alter etwas zu zart, aber das leichte Gewehr über dem Rücken, schritt er spannkräftig wie eine Gemse neben dem Vater. Doch so elastisch war Landolo nur, wenn er sich unbeobachtet wußte.

Sobald die Neugier nach ihm sah, steifte und bäumte sich die Gestalt in verschwiegener Herbheit, in inniger Zurückhaltung. „Rührt nicht an mir!“ bat der flammende Blick, das Erröten, „nicht mit euern Augen, nicht mit euern Worten.“

Und die Schweigsamkeit und der brennende Stolz wappneten die Gestalt.

Ein Lächeln, ein Wort aber von Landolo – ein guter Blick der kirschdunklen Augen – man sagte, es gebe nichts Hinreißenderes im Gebirge.

Und ein heißblütiger, leidenschaftlicher kleiner Jäger war Landolo. Markus Paltram hütete ihn wie seinen Augapfel.

Der König der Bernina, erzählten die Hirten, welche die beiden häufig genug in den Felsen klettern sahen, lebe in der beständigen Furcht, daß ihm eines Tages das Gebirge ein satanisches Wunder vorspiegle und er seinen Knaben erschieße. „Denn er ist ein Camogasker, und die müssen diejenigen schlagen, die ihnen am liebsten sind!“

Die Camogaskersage beherrschte mehr als je die Kreise des Volkes, seit die gewaltige Persönlichkeit Markus Paltrams und die Erzählungen von seinem geheimnisvollen, wunderthätigen Wirken ihr so viel neue Nahrung zuführten. Aber nicht nur in Volkskreisen wuchs der Ruf des merkwürdigen Jägers und seines schönen Töchterleins. Die Reiseberichte der Gäste von St. Moritz verbreiteten ihn überall in den Ländern der Tiefe.

Dem Volke erschien er als die leibhaftige Verkörperung der erhabenen, geheimnisreichen Bergnatur. Es bewunderte ihn als den großen Jäger, den Retter, den Arzt. Und als ein fremder Naturforscher, wie sie jetzt öfter aus wissenschaftlichem Forschungsdrang ins Engadin kamen, in einem Bericht die Beschuldigung gegen Markus aussprach, daß er bei einem Jagdausflug ins Hochgebirge einen unvermutet zwischen den Felsen erscheinenden fremden Jäger habe erschießen wollen und nur schwer von seinen Begleitern davon abzubringen gewesen sei, da erhob sich, während Markus zu der Anklage lächelte und schwieg, das ganze Engadin, um diese Anklage als eine Verleumdung zu brandmarken.

*      *      *

Die Schweiz blühte in geistigem und wirtschaftlichem Aufschwung, und just, da der unerwartete Angriff auf Markus Paltram erging, sprach man von einem großen eidgenössischen Schützenfest zu Zürich, das die Stämme zwischen Boden- und Genfersee, zwischen Rhein und Bernina in gehobenen vaterländischen Gefühlen sammeln sollte.

Da war es Konradin von Flugi, da waren es die Männer des ehemaligen Jugendbundes, die den Gedanken in das Volk des Engadins warfen, daß man in großer Schar zum allgemeinen Feste ziehen wolle.

„Zeigen wir, daß das Engadin lebt – daß die Wunde nicht mehr blutet, zeigen wir unsern Miteidgenossen unsere blühende Jugend!“

„Und unsern großen Schützen! Bezeugen wir, indem wir ihn in unsere Mitte nehmen, daß wir nichts Ungerechtes an ihm sehen!“

„Markus Paltram, gebt uns die Ehre. daß Ihr mit uns zum Feste zieht! Wir geben das Banner in Eure Hand. Das ist die Genugthuung für den Schimpf von Madulein!“

Da wurden ihm vor Freude die Augen naß, und nach einiger Zeit des Bedenkens fügte er sich dem stürmischen Wunsche seines Volkes.

„Ich komme, damit Jolande ein schönes Andenken an ihren Vater habe, und wenn ihr mich für rein genug haltet, so bin ich es!“

Der ehemalige Jugendbund aber sammelte sich in einem neuen Verein, der „Liga grischia“, dem „Rhätischen Bund“, und verstärkt um viele, übte dieser Verein die Lieder Konradins.

Den romanischen Männergesang wollten sie vor dem Lande zu Ehren bringen.

Ludwig Georgy aber übernahm die malerische Ausgestaltung des Zuges. Auf drei reichgeschmückten Prachtwagen wollte man das Wild der engadinischen Berge nach Zürich führen, den mächtigen Bär, den stolzen Adler, den gewaltigen Geier.

„Die übernehme ich,“ sagte Markus Paltram, „die Gemsen schießt ihr – schießt so viele, daß wir einen Tag lang das Fest mit Gemsen bewirten können!“

Und allen war die Bernina frei.

„Nie habe ich einen Engadiner gehindert, daß er in der Bernina jage – wenn ihr nicht gekommen seid, so ist es eure Schuld! Hart war ich nur gegen die fremden Jäger, in Zukunft will ich eure Jugend schießen und jagen lehren.“




18.

Auf einem Wagen hat Markus Paltram eine Gesellschaft junger Gemsen, die er eingefangen hat und an den Tierpark einer fernen Stadt liefern will, über den Albula gefahren.

Jolande, die Siebzehnjährige, hatte neben ihm gesessen –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0839.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2019)