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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Freilichtbild“ würde, und Tante ging mit. Offen gesagt, ich fand das überflüssig, und es wäre mir unendlich viel interessanter gewesen, wenn sie nicht wie eine Ehrenwache dabei gesessen hätte. Herr Harrang natürlich bat es sich in seiner Höflichkeit sogar noch als besondere Gunst aus, was er ja auch eigentlich nicht gut unterlassen konnte, da Tante doch die Dame des Hauses war.

So kam es natürlich, daß er während der ganzen Zeit fast nur mit Tante sprach, die mit ihrer Handarbeit neben mir saß. Denn ich mußte selbstverständlich das Gesicht still halten, da wäre es nicht angegangen, sich viel mit mir zu unterhalten. Noch dazu mußte ich den Kopf halb zur Seite wenden, so daß ich nicht einmal beobachten konnte, wie mein Bild fortschritt. Jedoch konnte Tante das wohl auch nicht.

Am meisten sprach Herr Harrang selbst. O, und wie sprach er! Die halbe Welt hatte er gesehen und auf seinen Künstlerfahrten die interessantesten Dinge erlebt, von denen er uns nun erzählte, während er malte. Manchmal drehte ich unwillkürlich den Kopf herum, um ihn ansehen zu können, wie ich das immer so gern mag, wenn jemand erzählt, der so lebhafte Augen hat, die manchmal das Beste dabei thun, und oft ließ Tante ihre Handarbeit sinken, lehnte sich in den Gartenstuhl zurück und sah träumerisch mit ihren klaren Augen in den Himmel hinein.

Ich sah es, denn mein Gesicht war ihr zugewendet, und einmal ertappte ich mich sogar auf dem Gedanken, daß eigentlich auch sie wohl in ein Bild hineinpassen könnte, gerade so, wie sie in solchen selbstvergessenen Augenblicken aussah. Freilich müßte es nicht „Frühling“ heißen, sondern etwa „Spätsommer“, oder „Erinnerung“ oder „September“, oder so ähnlich.

Wenn sie so stille dasaß, das feine, klare Gesicht gegen das Licht emporgewendet, sah man recht, wie reizend sie gewesen sein mußte, als sie jung war, und gerade der leise Zug von Wehmut, der seit ein paar Tagen immer wiederkehrte, stand ihr gut.

Nach längerer Zeit wurde mir das Stillehalten des Kopfes aber doch lästig und ermüdend, und Tante bemerkte es und bat sofort um eine Ruhepause.

„Mit dem größten Vergnügen,“ sagte Herr Harrang. „Es ist ohnehin für heute genug; ich danke den Damen verbindlichst.“

Dabei fing er an, sein Malgerät ganz geschwind zusammenzupacken.

Natürlich sprang ich auf, schüttelte mich an allen Gliedern nach dem ungewohnten langen Stillehalten und wollte das Bild sehen, und auch Tante trat erwartungsvoll hinzu. Herr Harrang wehrte aber lachend mit beiden Händen ab.

„Heute noch nicht, meine Damen. Es ist eine kleine Eigenheit von mir, daß ich nichts zeige, ehe es einen gewissen Grad von Vollendung erreicht hat. Noch ein paar Sitzungen, und Sie werden dann schon besser urteilen können, ob es ähnlich wird.“

Tante beschied sich sofort, wenn auch sichtlich mit Bedauern; ich aber hätte gar zu gern gesehen, wie ich mich auf der Leinwand ausnahm. Da half jedoch kein Bitten und kein Schmollen; Herr Harrang blieb unerschütterlich, und wir bekamen wirklich nichts zu sehen.

Ehe er ging, erkundigte sich dann Herr Harrang noch sehr lebhaft, ob wir schon zusammen musiziert hätten, und als er hörte, das wäre allerdings geschehen, und wir hätten das Brahms’sche Duett geübt, bat er sehr, es ihm doch vorzusingen. Nun fand ich, daß wir dies sehr gut hätten thun können, denn der Sopran lag ausgezeichnet für meine Stimme, und nur an drei oder vier Stellen war ich noch nicht ganz sicher und mußte die Melodie in der Begleitung mitspielen. Tante aber erklärte, auch sie müßte auf einem gewissen Grade der Vollendung bestehen, ehe sie etwas vortrüge, und dann sang sie auf Herrn Harrangs Bitten, der nun einmal durchaus Musik hören wollte, mehreres allein, was er unter ihren Noten aussuchte.

Mir schienen es lauter unmoderne Sachen zu sein, aber freilich, Tante sang sie sehr schön. Ich hatte jedoch, daß ich’s nur offen gestehe, eine unangenehme Empfindung dabei, als wenn ich, die ich doch bei dieser ganzen Zusammenkunft eigentlich die Hauptperson war, von Tante geflissentlich in den Schatten gedrängt würde.

Nachmittags kam Anneliese und holte mich zum Spazierengehen ab. Sie war unbeschreiblich neugierig, wie alles sich zugetragen hätte, und ich erzählte ihr getreulich bis ins kleinste den ganzen Verlauf des Vormittags.

Anneliese wurde ganz still dabei.

„Helmi,“ sagte sie auf einmal, „glaubst du, daß er sich mit dir verloben wird?“

„Was sagst du, Anneliese?“ rief ich erstaunt, „wer soll sich mit mir verloben?“

„Na, wer anders als Herr Harrang? Denn siehst du, Helmi, er interessiert sich doch ganz offenbar für dich. Daß er dich malen will, ist sicher nur ein Vorwand.“

„Aber ich bitte sehr,“ sagte ich beleidigt, „warum soll er mich denn nicht für sein Bild –“

„Es ist neulich allgemein aufgefallen, daß er ein einziges Mal tanzte – und mit dir, nachher nicht mehr. – Weißt du, Helmi, man liest so oft in Romanen davon, daß einen gereiften Mann eine plötzliche Leidenschaft für ein so junges Mädchen überkommt; das ist gar nichts Seltenes! Wenn er dich nun zu seiner Frau haben wollte, würdest du Ja sagen, Helmi?“

Ich war ganz verblüfft. Dergleichen war mir wirklich noch nicht eingefallen! Aber nun, da Anneliese es sagte, kam es mir auf einmal keineswegs ganz unmöglich vor, daß sie recht haben könnte. Schon viel unwahrscheinlichere Dinge waren geschehen. Warum sollte ich denn einem bedeutenden Mann mit ausgeprägtem Schönheitssinn nicht gefallen? Oder vielmehr, warum sollte er sich nicht in mich verlieben? Denn daß ich ihm gefiel, war ja zweifellos.

„Würdest du Ja sagen?“ wiederholte Anneliese.

Ja – mein Gott – das konnte man doch so in der Eile nicht wissen! Es lag ja auch kein zwingender Grund vor, mich sofort darüber zu entscheiden, vorläufig hatte er selbst mich ja noch nicht danach gefragt. Aber ich kann nicht leugnen, eine ganze Reihe von Möglichkeiten stellte sich plötzlich vor mein geistiges Auge.

„Würdest du es thun, Anneliese?“ fragte ich etwas unsicher zurück.

„Ich? Ja, sofort!“ rief Anneliese begeistert. „Denke doch bloß, er ist berühmt! Eine Künstlersfrau zu sein, denke ich mir überhaupt reizend, aber nun gar die Frau von einem berühmten Künstler, der so himmlisch malt! Ja, gleich thäte ich es! Aber mich beachtet er garnicht. Ich bin ja auch eigentlich nicht hübsch,“ fügte sie bescheiden hinzu.

„Meinst du nicht, daß er sehr viel älter ist als ich?“ erwiderte ich zögernd. Denn bisher schwärmte ich ja auch für ihn, aber in dieser neuen Beleuchtung sah ich ihn doch etwas kritischer an. „Ach, Künstler sind nie alt!“ entgegnete Anneliese schwärmerisch. „Das sind ganz kleinstädtische Anschauungen. Es wäre doch lächerlich, wenn man einem Manne von so viel Geist und Bedeutung die paar Jahre anrechnen wollte. Und wie entzückend schon allein, sich mit siebzehn zu verloben, ganz wie in einem Roman! – Im wirklichen Leben kommt es fast nie vor.“

So redete Anneliese noch lange auf mich ein, ohne daß ich viel dazu gesagt hätte, denn der Gedanke, Herr Harrang könne mich heiraten wollen, war zu überwältigend neu, als daß ich mich gleich in ihm hätte zurechtfinden können. Ja, ich mußte sogar zuerst darüber lachen.

Jedoch denken mußte ich auch nachher, als ich wieder zu Hause war, viel daran, und ich hätte fast Lust gehabt, mit Tante Renate darüber zu sprechen. Die halbe Nacht, oder doch gewiß eine Stunde lag ich wach und wiederholte mir alles, was Anneliese gesagt hatte. Und sonderbar, ganz sonderbar war es, allmählich kam es mir gar nicht mehr so unwahrscheinlich vor, daß sie recht haben könnte. Man hatte doch schon von viel seltsameren Dingen gehört. Jedenfalls beschloß ich, von nun an mehr auf Herrn Harrangs Benehmen, wenn er mit mir sprach, acht zu geben.

Ob ich Ja sagen würde, wenn er mich etwa fragte? Ich wußte es noch nicht.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0858.jpg&oldid=- (Version vom 2.6.2023)