Seite:Die Gartenlaube (1899) 0868 d.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Inhalt.
Seite
An des Jahrhunderts Neige. Gedicht von Max Haushofer 869
Der König der Bernina. Roman von J. C. Heer. (Schluß) 870
Der große Geburtstag. Eine Silvesterbetrachtung von Ernst Muellenbach. 875
Grünes Gras. Eine Backfisch-Geschichte von Eva Treu (Lucy Griebel). (Schluß) 876
Ueber Nervenschutz und Nervenstärkung. Von Geh. Med.-Rat Professor Dr. Albert Eulenburg 880
Ein Sonntag im Hamburger Hafen. Von Gustav Kopal. Mit Bildern von H. Haase 890
Ludwig XVII. Mit Abbildungen 894
An unsere Leser. 897
Blätter und Blüten: Der Anfang des Jahrhunderts. S. 895. – Der Kleine Teich im Riesengebirge. Von Dr. Baer. (Zu dem Bilde S. 881.) S. 895. – Der Säulensturz im Ammontempel zu Karnak. (Zu dem Bilde S. 885.) S. 896. – Vesperbrot des Orang-Utan „Rolf“ im Zoologischen Garten zu Berlin. Von Dr. O. Heinroth. (Zu dem Bilde S. 889.) S. 896. – Wotanszug. (Zu unserer Kunstbeilage.) S. 896.
Kleiner Briefkasten: S. 896.
Illustrationen: Der Trinkspruch auf das neue Jahr. Von W. Gause. S. 872 und 873. – Der Silhouettenschneider. Von J. Hamza. S. 877. – Der Kleine Teich im Riesengebirge. Von Paul Linke. S. 881. – Im Tempel zu Karnak: Ansicht einer der jüngst umgestürzten Riesensäulen. S. 885. – Vesperbrot des Orang-Utan „Rolf“ im Zoologischen Garten zu Berlin. Von Ludw. Hartig. S. 889. – Abbildungen zu dem Artikel „Ein Sonntag im Hamburger Hafen“. Von H. Haase. Fischverkauf am Sonntagmorgen auf den Fischerkähnen. S. 890. Angler an den „Duc d’Alben“. Lesestündchen. S. 891. An einer Kasse der St. Pauli-Landungsbrücke. „Vadder slöppt!“ S. 892. – Der Sohn Ludwigs XVI bei Simon im Gefängnis. Von L. Ch. Spriet. S. 893. Der Dauphin Ludwig XVII. Von L. P. Deseine. S. 894. – „Prosit Neujahr!“ Von Karl Gehrts. S. 896. – Neujahrsbild 1900. Von St. Grocholski. S. 898.


Hierzu Kunstbeilage XXVIII: „Wotanszug“. Von E. Herger.




Kleine Mitteilungen.


Steinfressende Bacillen. Das Antlitz der Erde ist steten Veränderungen unterworfen. Wir wissen, daß diese unaufhaltsam vor sich gehen, daß chemische, physikalische und mechanische Kräfte dabei thätig sind. Wir sehen, wie Regen und Schnee, Frost und Hitze einwirken, Felsen sprengend, Berge abtragend und dabei die Erdkruste zersetzend und lösend und Humus bildend. An dieser letzteren Thätigkeit sind nun aber, außer diesen Faktoren, auch Organismen, so Tier wie Pflanze, beteiligt. Die Regenwürmer spielen als Humusbildner eine Rolle, von Pflanzen seien die Flechten angeführt, nun kommen nach Berichten der Pariser Akademie auch noch Mikroben hinzu.

Daß die Bacillen im Haushalt der Natur eine außerordentlich wichtige Rolle spielen, daß sie überall zu finden sind, und nichts vor ihnen sicher ist, das ist seit Jahrzehnten bereits bekannt; daß sie aber sogar Steine fressen, oder doch wenigstens zerfressen und diese dabei umwandeln, das ist eine Entdeckung der allerjüngsten Zeit. Bis jetzt feierte man stets die Flechten, diese Doppelwesen, die einer Symbiose, einem Zusammenleben von Alge und Pilz ihre Existenz verdanken, als die Pioniere der Vegetation. Wo kein Lebewesen sonst existieren konnte, auf den höchsten Berggipfeln, am Rande der Wüsten, da lebten sie, unaufhaltsam sich ausbreitend, trotz Eis und Schnee, größter Hitze und Dürre, und den Boden vorbereitend für spätere, nach ihnen kommende Vegetation. Nun ist es bekannt geworden, daß sie in einem Bacillus einen Konkurrent besitzen.

Ein französischer Gelehrter hat diese Mikroben entdeckt. Er fand sie auf Felsen, die allem Anschein nach infolge ausschließlich atmosphärischer Einwirkung zerfallen waren. Wie sehr die kleinsten Lebewesen aber an dieser Zersetzung beteiligt waren, ging daraus hervor, daß das verwitterte Gestein stets von organischen Substanzen bedeckt war, die, wie leicht nachzuweisen war, von diesen Mikroben herstammten.

Ihre Hauptthätigkeit entwickeln sie im Sommer, während sie im Winter in eine Art Winterschlaf verfallen. Infolge ihrer Kleinheit dringen sie in die feinsten kapillaren Spalten der Felsen ein, so Zerstörung und Verderben bis in erhebliche Tiefen derselben tragend. Man kann häufig ganz tief im Innern von äußerlich scheinbar völlig gesundem Gestein, wie Schiefern, Graniten und Kalken, durch solche Bacillen zersetzte Stellen finden. So sollen sie auch an der Zerstörung des Faulhorns, die man bisher nur durch Verwitterung herbeigeführt glaubte, beteiligt sein.

In rein mineralischen Lösungen sind sie auch bereits künstlich gezüchtet worden.

Indem diese Mikroben nun, insofern sie das Gestein zersetzen, dasselbe zugleich auch umwandeln, werden sie aus Zerstörern zu Erhaltern des Lebens, und da sie ihren Leib aus der Kohlensäure und dem in der Luft enthaltenen Stickstoff-(Ammoniak-)Verbindungen aufbauen, so düngen sie bei ihrem Zerfall den Boden mit dem für die Pflanzen so wertvollen Stickstoff.

Aber nicht allein den steinernen Gebilden der Natur sind die Mikroben gefährlich, nein, auch den Schöpfungen unserer Ingenieure, wie einige Berichte bedeutender Chemiker melden. Diesen Herren wurden Proben von Cement eingesandt, mit welchem die Sammelbassins einiger großer städtischer Wasserleitungen ausgekleidet waren, mit dem Ersuchen, den Cement zu prüfen. Dieser Cement nämlich, der mehrere Jahre dauernd mit dem Wasser in Berührung gewesen war, hatte, anstatt fester zu werden, sich nach und nach unter Bildung eines bräunlichen Schlammes gelöst. Die Untersuchung ergab, daß er allmählich völlig arm an Kalk geworden war und daß, außer dem kohlensäurehaltigen Wasser, Bakterien, die in dem auf dem Bassinboden befindlichen Schlamm reichlich sich fanden, dies zum großen Teil verschuldet, den Cement zersetzt hatten. So sehen wir den Einfluß dieser kleinsten Lebewesen überall, selbst dort, wo Leben scheinbar völlig unmöglich, ja zwecklos erscheint. Vielleicht bringt uns in dieser Hinsicht die Zukunft nocb manche Ueberraschungen.

Dr. –t.

Dichter in Gefangenschaft. Die Weltlitteratur erzählt von sehr vielen Dichtern, welche die Bekanntschaft mit den traurigen Gefängniszellen

machen mußten. Der Dichter des „Befreiten Jerusalem“, Torquato Tasso, war mehrfach in Haft und interniert, Voltaire saß sechsmal in der Bastille, der deutsche Stürmer und Dränger und Tyrannenhasser Schubart zehn Jahre auf Hohenasperg. Rouget de Lisle, der Dichter der französischen Volkshymne, kam durch Robespierre in den Kerker. Silvio Pellico, der italienische Patriot, schmachtete auf dem Spielberg, seine Memoiren über seine Gefängnishaft gehören zu den Kleinodien der italienischen Litteratur. Der Leipziger Dichter Mahlmann wurde 1813 von den Franzosen nach Erfurt abgeführt und dort in Haft gehalten. Christian Contessa, ein beliebter Romandichter, mußte 1797 in Spandau für allzuscharfe Kritik der damaligen politischen Zustände in Preußen Buße thun. Von den zahlreichen Opfern der Demagogenverfolgung nennen wir Fritz Reuter, der sieben Jahre Festungshaft erlitt. Die beiden jungdeutschen Schriftsteller Gutzkow und Laube wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt: der erstere wurde wegen seiner „Wally“, einer Novelle mit kühnen Aeußerungen, in Mannheim eingekerkert, der letztere saß wegen des „Jungen Europa“ in der Berliner Haus- und Stadtvogtei und dann in „Hausarrest“ bei dem ihm befreundeten Fürsten Pückler in Muskau. Der Königsberger Humorist Walesrode verbüßte seine Freiheitsstrafe in Graudenz, während der Freiheitskämpfer von 1848, der rheinische Dichter Kinkel, anfangs zum Tode verurteilt, im Zuchthause zu Naugard saß, bis ihn der spätere nordamerikanische Staatsmann Schurz befreite. Von den „Berliner Freien“ hat Edgar Bauer eine mehrfache Gefängnisstrafe abgebüßt. Der französische Volks- und Freiheitssänger Béranger war zu dreiviertel Jahren Gefängnis verurteilt; der englische Satiriker Leigh Hunt büßte zwei Jahre für seine Spottverse. Der spanische Dichter Quintana war sechs Jahre lang eingekerkert. Doch die schönsten Kerkerpoesien rühren von Dichtern her, die nicht eigene Erlebnisse besangen: wir meinen hier Lord Byrons „Gefangenen in Chillon“, Anastasius Grüns „Schutt“ und Saintines „Picciola“.

Veteranen des Maschinenbaus. Die älteste englische Dampfmaschine, und damit wohl überhaupt die älteste noch existierende, wurde im Jahre 1898 von der Birmingham-Gesellschaft, für welche sie volle 120 Jahre gearbeitet hatte, außer Dienst gestellt und wird seitdem von ihren Eigentümern als technische Reliquie aufbewahrt. Sie war von der ältesten Dampfmaschinenfabrik, Watt und Boulton in Soho, im Jahre 1777 für die genannte Gesellschaft geliefert, um die obere Haltung eines Schiiffahrtskanals bei Smethwick mit Wasser zu füllen. Sie hatte einen aufrechtstehenden Cylinder von 2½ m Höhe und 80 cm Durchmesser und gehörte dem System der sogenannten atmosphärischen Maschinen an. Ihr Kolben wurde, während sich der Cylinder mit spannungslosem Dampf füllte, durch das Gewicht des Pumpengestänges gehoben und dann nach dem Einspritzen von Wasser durch den atmosphärischen Luftdruck wieder hinabgepreßt, wobei die Pumparbeit sich vollzog. Die Konstruktion war einfach genug, ein hölzerner Balancier, an dessen einem Ende das Pumpengestänge, am anderen der Dampfkolben durch Ketten aufgehängt war, das wär alles.

Auch Deutschland besitzt noch einige Dampfmaschinen ehrwürdigen Alters, die älteste wohl, die 1897 ihr hundertjähriges Jubiläum feierte, in den Salzwerken zu Königsborn im Regierungsbezirk Arnsberg. Die Maschine ist zwar 1867 umgebaut, doch arbeitet sie noch heute mit dem alten Cylinder, der ersten Kondensation und Steuerung. Sie hebt vermittels 5 an den Balancier gehängten Pumpen die Salzsoole auf das Gradierwerk und steht in einem altertümlichen, mehr einer Kirche als einem Maschinenhaus ähnelnden Bau.

Bw.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 868_d. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0868_d.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2023)