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Rochus von Liliencron: Die_historischen_Volkslieder_der_Deutschen_vom 13. bis 16. Jahrhundert Band 1


7

„Die feinde ligen euch für der tür,
des habt ir edelen herren zweier kür,
sie ligen dar an dem sande,
laßt ir sie wider von hinnen ziehn,
des habt ir Hamburger große schande!“

8

„Der eltest bürgermeister sprach allzuhand:
gut gesell du bist hier unbekant,
worbei sollen wir dir glauben?“
„Des sollet ir edlen herren tun,
bei meinem treuen eide.

9

„Jr sollet mich setzen auf das vorkastel,
so lang biß ir eur feinde sehen
all zu denselben stunden,
spüret ir denn einig wankel an mir,
so senket mich gar zu grunde.“

10

Die herren von Hamburg zogen auß,
sie giengen all zu sigel mit der flut,
all nach dem neuen werke,
vor nebel konten sie nichts sehen,
so finster waren die schwerke.

11

Die schwerke brachen auf, die wolken wurden klar,
die herren von Hamburg giengen zu sigel alda,
großen preis wolten sie erwerben;
Störzebecher und Gödiche Michael
die musten darumb sterben.

12

Sie hatten einen holch mit wein genomen,
damit waren sie auf die Weser gekomen
dem kaufman dar zu leide,
sie wolten damit in Flandern sein,
sie musten noch darvon scheiden!

13

„Höret auf, ir gesellen, trinket nu nicht mer,
dort laufen drei schiff in jener se,
uns grauet für der Hamburger knechten,
komen uns die von Hamburg an die port,
mit inen müßen wir fechten!“

14

Sie brachten die büchsen an die bort,
zu allen schüßen giengen sie los,
da hört man die büchsen klingen,
da sach man so manichen feinen held
sein leben zum ende bringen.

15

Sie schlugen sich drei tag und auch drei nacht,
Hamburg dir war ein böses bedacht,
all zu denselbigen stunden;
das uns ist lang zuvor gesagt,
des komen wir izt zu funde.

16

Die bunte ku auß Flandern kam,
wie balde sie das gerücht vernam,
mit iren starken hörnern,
sie gieng brausen all durch die wilde se,
den holich wolt sie verstören.


7,2. „ihr habt nur die Wahl zwischen Sieg oder Schande“. So spricht regelmäßig in den altnordischen Erzählungen der Held, wenn eine große Entscheidung bevorsteht: tveir kostir eru fyrir höndum. 10.3 Das Neuewerk bei Ritzebüttel, vor der Elb- und Wesermündung, von dessen Thurm aus die Elbmündung von den Hamburgern bewacht wurde. Ztschr. l.c. 288. 10,5. schwerke, niederd. noch gebräuchlich für Wolke, scheint hier Nebel zu bedeuten. 12,1. holch mhd. holche: Lastschiff. 15.1 S. 210,32. Was das Lied sagt ist nur die bekannte epische Formel, die an die Stelle einer ursprünglichen genauen Zeitangabe getreten sein wird. 16,1. Die Stadtrechnungen von 1402 weisen auf: 32 tal. pro navalibus destructis ad usus navis Bunten ko dicte; item 15 1/2 tal 2 sol. Simoni de Utrecht pro laboribus et expensis sue navis in reysa post Vitalien brodere. Ztschr. l.c. 81–82.

Empfohlene Zitierweise:
Rochus von Liliencron: Die_historischen_Volkslieder_der_Deutschen_vom 13. bis 16. Jahrhundert Band 1. Verlag von J. C. W. Vogel, Leipzig 1865, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_historischen_Volkslieder_der_Deutschen_(Liliencron)_I_212.gif&oldid=- (Version vom 31.7.2018)