Seite:Eichhorn Einsegnungsunterricht 1917 037.png

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Man hat die ursprüngliche Lehre der Waldenser, besonders die Anschauungen des Waldez selbst meist viel mehr reformatorisch und evangelisch angesehen als sie eigentlich sind. In den früheren Schriften haben die Waldenser an der Heiligen- und Marienverehrung, an der Ohrenbeichte, am Verdienst der guten Werke festgehalten. Durch die Verfolgungen, die über sie ergingen, kamen sie dazu die Ohrenbeichte zu verwerfen, blieben aber dafür nicht ganz frei von schwärmerischen Anschauungen. Auch daß sie sich in Gläubige und die höhere Stufe der Vollkommenen schieden, gehört dazu und erinnert wieder an manche Erscheinungen der Gegenwart, etwa an die Methodisten. Der bekannte Pearsall Smith hat auch gelehrt, es müsse der gläubigen Uebergabe an Gott im Sinn der Rechtfertigung ein neuer Akt der Uebergabe folgen zum Zweck der Heiligung und er lehrte auch eine zu erstrebende Sündlosigkeit. Aber eines muß man den Waldensern lassen und in diesem Punkt sind sie wahrhaft reformatorisch gewesen. Das ist ihre Wertschätzung der Bibel. Dafür haben sie gewirkt; für die Verbreitung der Bibel taten sie alles. Die vorreformatorischen Uebersetzungen der Bibel in die Volkssprachen stammten samt und sonders nachgewiesenermaßen aus Waldenserkreisen. Später haben dann die böhmischen Brüder und dann auch die Reformatoren, besonders Calvin von Genf aus, noch mehr in evangelischem Sinn aus die Waldenser eingewirkt und jetzt sind sie als evangelische Kirchengemeinschaft anzuerkennen.


II.

Das sind die Entgegenwirkungen gegen das Verderben der Kirche, die vielfach in sektiererischer Weise geschahen und gleichwohl für uns noch heute sehr lehrreich sind. Aber auch in der amtlichen Kirche durch deren berufene Vertreter hat sich beim Fortschreiten des Mittelalters der Ruf nach einer Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern immer stärker erhoben. Das hängt mit der starken Verderbnis der päpstlichen Macht, ja der Päpste selber zusammen. Als wir den Gang des Papsttums an seinen hervorragenden Vertretern von Leo dem Großen an kurz überblickten, kamen wir zuletzt noch auf Bonifaz VIII. zu reden, der von 1294 bis 1303 Papst gewesen ist. Weltklug und herrschsüchtig war er und erhob die Anmaßung des Papsttums auf den höchsten Gipfel; aber ihm erstand, wie noch erwähnt wurde, ein Gegner in dem König Philipp dem Schönen von Frankreich, unter dem das Königtum dortselbst zu großer Macht gelangt war. Es war nie so gehemmt wie es das Kaisertum in Deutschland gewesen ist durch die emporkommenden Landesfürsten und anderes mehr. Er vermochte