Seite:Eichhorn Einsegnungsunterricht 1917 061.png

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Auf den Universitäten lernten fortan auch diejenigen, die Diener des Wortes werden wollten und man darf sagen, bis auf diesen Tag hat die evangelische Universität doch vorherrschend die Führung auf theologischem und kirchlichem Gebiet gehabt und behalten. Auch diese Einrichtung mußte der Reformation den Weg ebnen.

Eine neue freiere Geistesrichtung machte sich aber auch geltend wie aus der hohen Schule so in den gebildeten Kreisen überhaupt. Eine höchst merkwürdige Ursache, die Entdeckung von Amerika 1492, mußte mit dazu dienen, den Gesichtskreis des Wissens erheblich zu erweitern. Ging durch die Entdeckung der neuen Welt der Blick in die Weite, so ist eine andere Geistesrichtung, die wir heute früh schon genannt haben, in die ferne Vergangenheit eingedrungen: das war der Humanismus. Humanismus heißt eigentlich Menschentum und ist, wie schon früher gesagt, das Bestreben der Ausbildung aller menschlichen Geistesgaben und der Erforschung aller menschlichen Lebensverhältnisse auf Grund dessen, was die alten Bildungsvölker, die Griechen und Römer geschaffen haben. Dieser Humanismus, diese Richtung auf menschliche Erkenntnis aus den den Menschen von Gott verliehenen Gaben, ist durch ein merkwürdiges Geschehnis geweckt und befördert worden. Dazu mußte die Eroberung von Konstantinopel durch die Türken dienen, deren wir schon Erwähnung getan haben, weil dadurch das oströmische Reich, das byzanthinische Kaisertum sein Ende erreichte. Dadurch, daß die Türken Konstantinopel eroberten, sah sich eine Menge griechischer Gelehrten veranlaßt, westwärts zu fliehen und so brachten sie nach Italien die Kenntnis der griechischen Sprache und die Geisteswerke des griechischen Volkes. Dadurch wurde diese Erneuerung der Wissenschaft auf dem abendländischen Geistesgebiet herbeigeführt. In Italien hat sich der Humanismus nach seiner gefährlichen Seite hin entwickelt, die ich auch schon betonte; da bei diesem an sich berechtigtem und notwendigem Bestreben die Gefahr besteht, den Menschen ausschließlich auf sich selbst zu stellen. Ja, in Italien hat der Aufschwung, den die Wissenschaft und Kunst genommen hat, vielfach geradezu ein neues Heidentum herbeigeführt. In Deutschland nahm er eine ernstere Gestalt an. Ich erwähnte schon, welch großen Dienst die deutschen Humanisten der Reformation erwiesen haben, durch die Belebung der Wissenschaft und durch die Kenntnis der hebräischen und griechischen Sprache. Nach dieser Seite hin werden ihnen wir Evangelischen stets Dank wissen und besonders Gott dankbar sein für den Mann, der aus einem Humanisten einer der treuesten Bekenner und Luthers nächster Gehilfe geworden ist, nämlich Philipp Melanchthon.

Doch darf zur Vorbereitung der Reformation auch das nicht übergangen werden, was auf kirchlichem Gebiet geschah. Dazu ist zu rechnen, daß das Verderben doch immer offenbarer wurde und