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lange aber diese Aufgabe ungelöst blieb, waren von den Untersuchungen über einzelne grosse Geschlechter genügende Ergebnisse für das Ganze kaum zu erwarten, zumal hier, wie sich aus Beispielen leicht erweisen liesse, eine gewisse Befangenheit der Forschung auch jetzt noch nachtheilig einwirken musste. Ihre Gründe liegen nahe, wenn wir bedenken, dass Veranlassung zu solchen Untersuchungen vorzugsweise bezüglich noch herrschender oder doch noch blühender Geschlechter gegeben war, dass auch da, wo unmittelbarere Beweggründe nicht vorauszusetzen sind, schon der Lokalpatriotismus, vielleicht auch nur die Vorliebe für den gewählten Einzelstoff, geneigt machten, die noch nicht genügend festgestellten Gränzen des ältern Fürstenstandes wo möglich so weit zu ziehen, dass auch die Vorfahren des Geschlechtes Raum darin finden können. Gälte es hier lediglich, im Interesse der einzelnen Familiengeschichten die Kennzeichen aufzusuchen, nach welchen sich bestimmen lässt, ob und seit wann in der Reihe der Ahnen der Fürstenstand nachweisbar ist, so dürfte der Historiker das billig solchen überlassen, welche darauf Werth zu legen besondere Veranlassung haben; und zwar um so mehr, als Genealogen und Publizisten älterer und neuerer Zeit hinlänglich dafür gesorgt haben, dass eine unbefangene Forschung dabei in der Regel nicht auf Ergebnisse zu gelangen hoffen darf, durch welche ihr die Betheiligten zu Danke verpflichtet sein könnten.

Fanden wir die Veranlassung zu unsern Untersuchungen lediglich in der Absicht, die Erkenntniss der frühern Reichsverfassung durch Erörterung eines ihrer wichtigsten Bestandtheile zu fördern, so wird es sich rechtfertigen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit vorzugsweise der Zeit zuwenden, in welcher das Reichsfürstenthum zu seiner vollsten Entwicklung gelangte, den weitgreifendsten Einfluss auf die Leitung der Reichsgeschäfte gewann.

Als solche wird sich bald die Periode der staufischen Kaiser ergeben. Wir finden zumal während der Regierungen der spätern Staufer eine scharfgeschlossene Anzahl geistlicher und weltlicher Grossen, welche als Fürsten des Reiches die gewichtigsten Vorzüge vor allen übrigen geniessen, während unter ihnen selbst eine weitere Rangabstufung nicht stattfindet; die Reichsgewalt liegt überwiegend in ihrer Hand, insofern ihnen das Recht zusteht den König zu wählen und ihre Einwilligung für alle wichtigern Entscheidungen über Reichsangelegenheiten erforderlich ist. Diese ihre bevorzugte Stellung suchen sie gleichzeitig dazu zu benutzen, ihre fast nur noch auf der Lehnsverbindung beruhenden Verpflichtungen gegen das Reich möglichst zu mindern, jeden unmittelbaren Einfluss des Königs auf die ihnen unterstehenden Sprengel möglichst auszuschliessen, innerhalb dieser dagegen die Schranken, welche ihnen die Satzungen des Lehnrechts noch zogen, zu beseitigen, sie aus Lehnsstaaten in Beamtenstaaten zu verwandeln und so die fürstliche Landeshoheit zu begründen.

Empfohlene Zitierweise:
Julius von Ficker: Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung, 1861, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ficker_Vom_Reichsf%C3%BCrstenstande_045.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)