mehr als ganz oberflächliche Verbindung gehabt, alle waren äußerst unsympathisch, jüdisch u. verkörperten so recht dieses widerliche Berlinertum. Den Großvater habe ich nie gekannt, er starb früh.
Mein Vater ist dann preußischer Offizier geworden u. lebte gänzlich im Geiste dieses neuen Preußentumes, – nicht, weil er eine innere Neigung dazu hatte, sondern, weil ihm dieses Preußentum imponierte u. er zu charakterschwach war, um seine eigene Persönlichkeit zu bewahren, die diesem preußischen Geiste völlig entgegengesetzt war. So ist sein ganzes Leben leider eine einzige Unwahrheit gewesen. Auch meine Mutter ist dieser Unwahrhaftigkeit verfallen. Sie ist eine geborene Chevalier, ihr Vater war preußischer Oberstleutnant. Die beiden Brüder des Großvaters, den ich gut gekannt habe u. der weit entfernt war vom Preußentum, sind nach ihrer französischen Heimat zurückgewandert, – sie wurden französische Offiziere, sodaß im Kriege 1870/71, den mein Großvater als preußischer Offizier mitmachte, seine Brüder auf französischer Seite kämpften. Die Kinder dieser Brüder sind heute ebenfalls französische Offiziere, wie ich hörte, gehörten sie zur Besatzungsarmee, die nach dem Kriege das Rheinland besetzte. – Die Großmutter war eine französische Luxemburgerin, eine verwöhnte, stolze u. hochmütige Frau.
So ist also schon meine Herkunft ohne Tradition, die sehr bald im Dunkel untertaucht. Geboren bin in in Wesel aus Zufall, weil mein Vater dort in Garnison stand, aber ich kann mich nur dunkel dieser meiner Geburtsstadt entsinnen, eher schon ist mir Kleve in Erinnerung, wo mein Vater eine zeitlang ein Kommando hatte. Dann kamen wir nach Berlin. Wir wohnten in der Kantstraße, Ecke Leibnizstraße, u. ich entsinne mich eines abscheulichen Gefühles von Furcht u. Fremdheit, das ich hier hatte. Später kam ich in die Vorschule in Charlottenburg u. habe von dieser Zeit nur ein einziges Gefühl von Grauen u. Abscheu im Gedächtnis. Dann zogen wir nach Hannover, wo es entschieden schöner war, als in Berlin; aber nun kam ich bald in's Kadettencorps nach Oranienstein, später nach Lichterfelde, so hörte also mit meinem 10. Lebensjahre jedes individuelle Eigenleben auf. Während meiner Kadettenzeit wurde mein Vater nach Dieuze in Lothringen versetzt, dann nahm er den Abschied u. zog nach Magdeburg, welches die verabscheuungswürdigste Stadt ist, die ich je im Leben kennengelernt habe. Seit meinem 10. Lebensjahre ist mir also jede Neigung zu einem individuellen Leben mit Stockschlägen, Ohrfeigen u. Fußtritten, welches die Erziehungselemente im preußischen Kadettencorps darstellten, ausgetrieben worden. Daneben lief eine geistige Knechtung unerhörtester Art u. eine Anerziehung eines dummen, bornierten Dünkels u. widerlichster Überheblichkeit über alles, was nicht Uniform trug. Die Schulbildung war mehr als mangelhaft.
Es erscheint mir heute oft rätselhaft, woher ich den Mut genommen habe, – ja wieso ich überhaupt auf den Gedanken kommen konnte, dieses Milieu zu verlassen, um Maler zu werden. Ich entsinne mich besonders aus der Zeit in Lichterfelde, daß in mir ein erbitterter, aber unterdrückter Haß bohrte gegen meine Vorgesetzten, die
Hans Brass: TBHB 1936-02-03. , 1936, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1936-02-03_003.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2024)