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Kriege her, – was in Österreich ist, weiß man nicht. Das kürzlich zwischen Österreich u. Deutschland abgeschlossene neue Bündnis, das die bisherige Spannung aufgehoben hat, ist höchst undurchsichtig, – niemand weiß, was damit in Wirklichkeit ist. – Nach den Zeitungsnachrichten, die aber vielleicht tendenziös sind, sieht es so aus, als unterstütze Frankreich die Links=Regierung in Spanien mit Waffen u. Flugzeugen, während Italien auf dieselbe Weise die Aufständischen zu unterstützen scheint, obgleich darüber unsere Zeitungen so gut wie nichts schreiben. – In Athen ist gestern ein Generalstreik, angeblich von den Kommunisten entfacht, ausgebrochen u. man hat den Belagerungszustand angeordnet. – Zur Olympiade ist der Kronprinz von Italien in Berlin, u. wie ich aus einem Bilde ersehe, auch zwei Söhne von Mussolini, – selbstverständlich diese alle als Privatpersonen, – aber – ;

     In der ganzen Zeit meines Hierseins habe ich mich sehr in die Geschichte des Alten Testamentes versenkt. Die Ähnlichkeit der geschichtlichen Vorgänge der damaligen Zeit mit europäischen Zuständen, – weniger äußerlich, als innerlich=geistig, fällt sehr auf. Das ganze christliche Europa ist eigentlich überhaupt nicht mehr christlich. Es gibt Kirchen u. Geistliche u. es gibt gläubige Laien, aber dies alles hat mit dem eigentlichen Europa nur noch lose zu tun. Gewiß ist die christliche Religion mit Ausnahme von Rußland überall noch Staatsreligion; aber wenn in Spanien der Militäraufstand nicht siegen sollte, – u. der Bürgerkrieg tobt nun schon fast 3 Wochen, - dann ist es vorbei mit dem Christentum in Spanien. Frankreich ist jeden Augenblick bereit, die Religion als etwas Nebensächliches zu behandeln, – wie es in Deutschland schon längst der Fall ist. Bei uns sagt man zwar, daß das Christentum Staatsreligion sei, – aber man sagt im gleichen Atemzuge, Religion sei Privatsache, – also garkeine Sache. Das europäische Christentum ist, wie mir scheint, als öffentliche Religion bereits so ausgehöhlt, daß es über Nacht zusammenbrechen kann. Andererseits gaube ich, daß es seit der Reformation noch nie so treue u. gute Katholiken gegeben hat, wie jetzt. Es scheint, daß der Zusammenbruch der äußeren Machtstellung der Kirche in Europa nicht mehr aufzuhalten ist, aber daß die geistige Position der Kirche im selben Maße stärker wird. Der Vertrag Mussolinis mit der Kirche u. die Schaffung des neuen, kleinen Kirchenstaates kann über diese Tatsache nicht hinwegtäuschen; aber wohl ist offenbar, daß die Kirche seit der Zerschlagung des alten Kirchenstaates in geistiger Beziehung ungeheuer gewonnen hat. –

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Hans Brass: TBHB 1936-08-05. , 1936, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1936-08-05_002.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)