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Seite:HansBrassTagebuch 1943-11-08 001.jpg

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daraus hervorzugehen, daß die Russen gestern die Erstürmung von Kiew gemeldet haben. Diese Stadt hatte unter allen Umständen gehalten werden müssen, aber man hat es eben nicht mehr gekonnt. Die dort abgezogenen Truppen haben bei Krivoi-Rog zwar einen Augenblicks-Erfolg errungen, indem sie die Einkesselung des ganzen Dnjeprbogens verhinderten, jedoch wird diese Katastrophe auf die Dauer nicht zu verhindern sein. Und Herr Dr. Goebbels schreibt unentwegt von der Gewissheit unseres Sieges, u. die übrigen Zeitungen tun dasselbe, während Herr Himmler alle Menschen hinrichten läßt, die auch nur den geringsten Zweifel an diesem Siege äußern. Es ist z. Zt. in Deutschland lebensgefährlich, ein Wort zu sprechen

Montag, 8. November 1943.     

     Gestern Nachmittag Krappmanns. Wie immer, war es sehr nett. Diese beiden Menschen sind mir wirklich überaus sympathisch. – Als wir zum letzten Mal bei ihnen waren, hatte ich ihm versprochen, ihm gelegentlich Fotos meiner früheren Bilder zu zeigen. Ich kramte also die Mappe mit diesen Fotos aus der Komode in meinem Zimmer heraus u. fand bei dieser Gelegenheit eine ziemlich große Anzahl von Bleistift-Zeichnungen früherer Jahre, landschaftl. Naturstudien u. Bildniszeichnungen, von denen ich nie wußte, wo sie geblieben waren. Wir besahen sie u. ich selbst fand sie noch recht gut. Dr. K. u. seine Frau waren sehr entzückt. – Mir war bei der Durchsicht doch etwas wehmütig. Welche großen Hoffnungen habe ich doch einst auf meine Kunst gesetzt, – u. nun ist das alles längst dahin. Mit der Bunten Stube hat es angefangen. Sie ließ mich nicht zur Arbeit kommen. Dadurch wurde ich gedrängt, hier im Ort Gemeindevorsteher zu werden, dann kam der Autounfall u. in dessen Gefolge noch einmal ein kleiner Ansatz, der aber schließlich in den seelischen Nöten jener Zeit erstickte. Dann kam meine Konversion u. damit war es dann ganz aus. Meine gegenwärtigen neuen Versuche haben bisher zu keinem Resultat geführt u. es sieht nicht grade so aus, als wollte daraus etwas werden, schon weil mir ein rechter Arbeitsraum fehlt. Immerhin habe ich heute früh meinen Schreibtisch umgestellt u. sonst einige kleine Aenderungen im Zimmer getroffen, um etwas mehr Platz zu gewinnen, für den Fall, daß ich doch noch einmal Lust zur Arbeit bekomme.

     Mit Dr. K. bin ich übereingekommen, daß sein Lothar heute Nachmittag wieder zur Religionsstunde kommen wird. Wir werden die Sache ganz heimlich aufziehen, werden im Seezimmer sitzen nur mit den drei Jungens Jens, Reinhard u. Lothar.

Sonntag, 14. November 1943.     

     Seit Donnerstag ist Martha Bahnson hier, um ihren Urlaub bei uns zu verbringen. Sie kann zwar nichts aus Hmb. erzählen, was man nicht schon dutzendfach gehört hätte, aber es ist doch sehr eindrucksvoll, wenn man die furchtbare Erregung sieht, die durch die Erinnerung an Hamburgs Schreckenstage bzw. Nächte immer noch bei ihr ausgelöst wird. Sie hat eine gründliche Erholung bitter nötig.

     Von Klaus Wegscheider bekamen wir Nachricht, daß er von Brüssel nach Halle versetzt worden ist. Er freut sich zwar zunächst, in der Nähe Berlins zu sein, d.h. also wohl in der Nähe seiner geschiedenen Frau u. seiner Kinder, aber im Uebrigen wird er sich wohl bald nach dem guten Leben in Brüssel zurücksehnen.

     Sonst ist nichts von Belang geschehen, außer, daß die Russen westlich Kiew unaufhaltsam weiter vorrücken u. nun schon dicht vor Schitomir stehen. Am 8. Nov. abends hat Hitler in München eine Rede gehalten. Wir wußten es nicht u. lasen die Rede in der Zeitung. Diese Rede war ganz darauf abgestellt, die Stimmung

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Hans Brass: TBHB 1943-11-07. , 1943, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-11-08_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2024)