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Seite:HansBrassTagebuch 1944-01-15 001.jpg

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Landung der Anglo-Amerikaner im Westen. Dazu werden sogar Truppen vom Osten abgezogen. Die Invasion ist vor Ende März – Anfang April kaum zu erwarten, aber es werden nun wirklich die allerletzten Reserven herausgeholt.

     Im Osten sehr schwere Kämpfe. Die Russen dringen zäh weiter vor, aber wir verteidigen uns nicht weniger zäh. Es ist bewunderungswürdig, was unsere schwachen Kräfte leisten, aber es ist natürlich unmöglich die Kampfstellungen zu halten. Die Russen haben nun schon längst die polnische Grenze von 1939 überschritten u. haben auch schon den Oberlauf des Bug erreicht.

     In Italien sind die ehemaligen Minister der fascistischen Partei vor Gericht gestellt worden, die sich am Badolgio-Verrat beteiligt haben. Es handelt sich um 13 Minister, von denen nur ein einziger nicht zum Tode, sondern zu 30 Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. Allerdings hat man von diesen 13 Ministern nur sechs gehabt, unter ihnen den Schwiegersohn Mussolinis, den Grafen Ciano. Von diesen sechs sind fünf erschossen worden, auch Ciano. – Wenn man bedenkt, daß diese Minister doch allesamt geschworene Fascisten gewesen sein müssen wie der Marschal de Bono, der sogar mit Mussolini den Marsch auf Rom mitgemacht hat, – daß diese Minister also die Elite der Partei dargestellt haben, – u. daß diese nun allesamt Verräter geworden sind, dann muß man sich doch vor den Kopf fassen u. fragen, welche Leute es denn nun heute eigentlich sind, die sich noch für Mussolini bekennen? – Und man muß weiter fragen, wohin unsere eigene Politik führen wird, die alles auf das Bündnis mit Italien gesetzt hat? Zwar wird es jetzt gern so dargestellt, daß man immer gewußt habe, wie unzuverlässig das italienische Volk als Ganzes gewesen wäre u. man hätte eigentlich garkein Bündnis mit Italien, sondern nur mit der fascistischen Partei geschlossen. Aber nun gesteht man klar ein, daß auch diese Partei eigentlich nur aus Mussolini selbst bestanden hat.

Sonnabend, 15. Januar 1944.     

     Am Freitag vor acht Tagen besuchte ich vormittags Erich Seeberg, weil man mir gesagt hatte, daß es ihm wieder sehr schlecht ginge. Ich traf ihn aber verhältnismäßig frisch. Wir unterhielten uns eine Stunde lang in seinem Arbeitszimmer. Er hatte mir vor einiger Zeit ein Buch von sich „Luthers Theologie in ihren Grundzügen“ versprochen, das ich mitnahm. Es interessiert mich weil ich z. Zt. das Buch von Lortz. „Die Reformation in Deutschland“ lese, das auch er sehr lobte. Er gab mir dann noch eine kleine Schrift von sich mit: „Ueber Memoiren u. Biographien“. Dieses Schriftchen habe ich gelesen. Es ist interessant u. spritzig geschrieben, so wie er spricht, u. geht besonders im dritten Abschnitt sehr in die Tiefe. – Er versucht dort, den Tod zu definieren. Nachdem er die gewöhnliche Definition angeführt hat als die Vernichtung u. Zerstörung des Ich u. die Frage gestreift hat, ob dieses zerstörte Ich dereinst durch Gottes Eingreifen wieder lebendig gemacht werden könne, gibt er eine neue Definition. Er meint, man könne den Tod auch folgendermaßen definieren: „Wenn die Lebenskraft, die in unendlich vielen Individualitäten sich gestalten und ausdrücken will, sich aus diesem Einzelwesen zurückzieht, dann sind diese tot. Wenn man einen Toten sieht, so gibt es m. E. dafür keinen besseren Ausdruck, um das zu bezeichnen, was man prima facie fühlt, als das Wort exanimatus, entseelt. Die Kraft, die das Individuum im Leben erhalten hat, ist von ihm gewichen. Es ist entseelt u. tot. Aber dieser wie jener Ausgangspunkt – (Anm. von mir: nämlich die „Zerstörung“ des Ich oder die „Entseelung“) – erscheint keineswegs gegen alle Zweifel gesichert. Es könnte doch auch so sein, daß der Mensch dann stirbt, wenn die Beziehungen des Ich durchschnitten werden, in denen es selbst gestanden hat, u. wenn die Wechselwirkungen zum Aufhören gebracht werden, in denen das Ich gelebt hat. Totsein heißt dann ganz Alleinsein. Die Isolierung auf das Ich

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1944-01-14. , 1944, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1944-01-15_001.jpg&oldid=- (Version vom 20.10.2024)