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Seite:HansBrassTagebuch 1945-01-28 001.jpg

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Gestern Abend bei Frau Longard. Als wir hingingen, schneite es schon stark bei Ostwind, als wir uns um 3/4 12 Uhr auf den Heimweg machten, war der Weg so tief verschneit, daß der Marsch sehr anstrengend war. Wir waren erst um 1/2 1 Uhr zuhause. Es war aber sehr nett wieder, wie immer. Sie setzte uns einen „Seehund“ vor, das ist ein Getränk zur Hälfte aus heißem Zuckerwasser, zur anderen Hälfte aus Weißwein, – sehr bekömmlich u. erwärmend. In Kaiserslautern hat die Stiftskirche, neben der die Apotheke liegt, einen Volltreffer einer Sprengbombe bekommen u. der Kirchturm ist auf die Apotheke gestürzt. Er hat das Haus bis unten hin durchschlagen, nur die Kellergewölbe haben den Ruck ausgehalten. – Sie erzählte wieder ungemein anschaulich aus den ersten Jahren ihrer Ehe in Kaiserslautern u. von ihrer Mädchenzeit in Rostock. Diese Frau stellt einen letzten Rest eines längst vergangenen soliden Bürgertums dar, welches noch nicht oder nur sehr wenig berührt worden ist von dem neuzeitlichen Scheindasein solcher Bürgerkreise, wie ich sie in meiner Jugend leider erleben mußte. Rostock war damals eben auch noch eine kleine Stadt ohne die aufgeblähte Kriegsindustrie, mit welcher Adolf Hitler diese Stadt beglückt hat. Aber nun ist auch diese alte Frau ängstlich geworden u. ich mußte ihr den Gedanken ausreden, daß die Russen uns allesamt ermorden würden. –

     Heute morgen mußte ich wieder Schnee schippen, dabei sah ich Rolf Saatmann, der heute früh aus dem Lazarett Müritz=Graal herüber gekommen war. Er sah sehr mager aus, machte aber sonst einen recht guten Eindruck. Besonders der linke Arm schien noch recht lahm zu sein, aber er meinte, daß das wohl noch in Ordnung käme.

     Von Fritz haben wir seit dem 18.1. keine Nachricht mehr. Diese war datiert vom 6. u. 7.1. – Allerdings bekamen wir ja am 20.1. noch zwei Briefe, aber diese waren längst überfällig vom 12.12. u. 27.12.44. Seit dieser Zeit haben in der Gegend von Kolmar schwere Kämpfe stattgefunden, – wir machen uns natürlich Sorge. Auch von Kurt hat Martha nichts gehört. Sein Urlaub lief am 12.1. ab, an diesem Tage begann die große Russenoffensive. Er dürfte wohl kaum seine Einheit erreicht haben u. wird wahrscheinlich mit anderen Urlaubern, Troß=Soldaten usw. in irgend eine, schnell zusammengeraffte Einsatzreserve gesteckt worden sein. Anneliese hat vor einigen Tagen mit Martha telephoniert. Sie meinte, daß sie notfalls mit ihrem Kinde hierher kommen würde, – u. nun fiel es ihr auch zum ersten Male ein, einen Gruß an mich zu bestellen. Von Ruth haben wir ebenfalls lange keine Nachricht mehr, Marthas letzter Brief an sie konnte wegen der Briefsperre nicht mehr abgehen.

Sonntag, 28. Januar 1945.     

     Heute sehr große Beteiligung an der Andacht es waren 11 oder 12 Personen, davon drei aus Wustrow, was angesichts des Wetters wirklich erstaunlich ist, denn es schneit unentwegt. Draußen, wo es stärker weht, muß der Schnee teilweise sehr hoch liegen, nachdem man schon hier im Dorf nur mühsam gehen kann. Diese starke Beteiligung wirkte sich wundervoll aus, sodaß auch meine Ansprache ganz besonders gut gelang. Jeder hatte wirklich das lebendige Gefühl, an heiligem Ort einer heiligen Handlung beizuwohnen u. ich selbst

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Hans Brass: TBHB 1945-01-27. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-01-28_001.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2024)