Zum Inhalt springen

Seite:HansBrassTagebuch 1945-03-17 001.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wohl verständlich. Er will mit Erika nach dem Westen u. dort die Ankunft der Amerikaner abwarten. Es ist ein Zeichen der allgem. Auflösung, daß seine Dienststelle sich anscheinend garnicht um ihn kümmert. Das kleine Kind soll hier bei der Großmutter S. bleiben. Diese spricht nun ganz offen davon, daß das Kind einen Klumpfuß hat, was bisher verschwiegen wurde u. mir gerüchtweise bekannt war. Das Kind soll in Rostock bei einem Spezialisten operiert werden, der der Meinung ist, daß er den Klumpfuß ganz beseitigen könne. Diese Operation kann wegen Raummangel erst in 3 Wochen vorgenommen werden. Anschließend soll das Kind noch 4 Wochen nach Kühlungsborn zur othopäd. Behandlung. Ob die Russen diese notwendigen 8 Wochen uns noch schenken werden, ist die Frage. –

     Frau S. sagte mir, daß ich die kathol. Dogmatik von Schmauss, um die ich sie gebeten hatte, haben könne. Ich will in diesen Tagen hingehen u. sie holen.

Sonnabend, 17. März 1945.     

     Gestern Nachmittag wurde das Dorf plötzlich u. unvorbereitet mit 150 neuen Flüchtlingen belegt. Wir selbst sind verschont geblieben, aber sonst sind viele Häuser belegt worden, darunter auch Ziels mit drei Personen. Der notwendige Raum mußte innerhalb drei Stunden belegbar sein. Für das alte Ehepaar Ziel war das einfach unmöglich u. so gingen wir, Martha, Trude u. ich, hin, um zu helfen. Ziels haben entsetzlich viel Kram. In dem Zimmer, das frei gemacht werden mußte, war Ziels Bibliothek mit 2000 Bänden. Frau Dr. Hahn half ebenfalls mit. Als wir endlich das Zimmer freigeräumt hatten, schleppten Ziel u. ich die drei Betten aus einem Schuppen im Haus u. nach oben über eine schrecklich enge u. steile Stiege, u. als alles oben war, stellten wir fest, daß die Matratzen nicht in die Bettgestelle hineinpaßten. Der alte Ziel war erschöpft, wir anderen ebenfalls. Inzwischen kam Frau Langner u. kündete an, daß die Flüchtlinge nun kämen. Ich weiß nicht, was aus der Sache geworden ist, Martha u. ich gingen mit Trude nachhause. Ich habe ein schlechtes Gewissen, die alten Leute allein gelassen zu haben, aber wir konnten ja weiter nichts tun. –

     Abends war das Breslauer Ehepaar zum Rosenkranz bei uns wie jeden Freitag in der Fasten= u. Passionszeit. Vorher hörten wir die Wochenchronik von J. R. v. Salis, die überaus interessant war. Er sprach von Gerüchten, die sich trotz aller Dementis hartnäckig erhalten, daß Ribbentrop über Stockholm Friedensfühler ausgestreckt habe auf der Basis, daß im Falle der deutschen Niederlage ganz Europa dem Bolschewismus anheimfalle. Das ist ja die alte Propaganda=Idee der Nazis. J. R. v. Salis meinte nun dazu, daß zwar besonders in letzter Zeit manche Differenzen zwischen Ango-Amerika einerseits u. Rußland andererseits aufgetaucht seien, daß es aber nach der Konferenz von Jalta ausgeschlossen sei, Uneinigkeit in Bezug auf die Kriegführung unter den Alliierten hervorzurufen. Er erwähnte die Rede, die Churchill in dieser Woche vor seiner konservativen Partei

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1945-03-16. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-03-17_001.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2024)