hält weiterhin an, aber es besteht die Absicht, Ende dieses Monats eine neue Konferenz zwischen Churchill, dem amerikan. Präsidenten u. Stalin stattfinden zu lassen. Davon, daß die Russen unsere Gegend räumen werden, ist nun keine Rede mehr.
Gestern Abend kam Agnes Borchers u. ihr Mann. Sie war schrecklich aufgeregt, was sie ja immer ist, u. berichtete, daß ihr Schwager Fritz Peters aus Wustrow verhaftet sei und nach Althagen zu Bendix gebracht worden wäre, wo er streng bewacht würde. Außer ihm sollen auch noch viele andere Wustrower, die eine Rolle in der Partei gespielt haben, verhaftet worden sein. Jetzt behauptet Agnes plötzlich, Peters wäre nie Nazi gewesen; aber in der Tat ist er ja immer sonntags mit seinem Patrei-Abzeichen herumgelaufen u. bei näherer Nachfrage stellt sich heraus, daß er sogar das Amt hatte, die Mitglieds-Beiträge einzusammeln. – Ich beruhigte aber Agnes damit, daß die Russen eben ganz natürlich alle Nazis zunächst einmal sicher stellen wollen u. daß garkein Grund zur Besorgnis vorliegt. – Sie wollte weiter wissen, daß gestern Abend bei den Russen ein großes Fest stattfünde. Wir waren deshalb wirklich in Sorge, weil wir Betrunkene in der Nacht befürchteten. Paul schlief deshalb in Kleidern, ich selbst blieb bis nach 12 Uhr auf, legte mich dann aber schlafen, da alles ruhig war. Wie sich heute morgen herausstellte, war an der ganze Geschichte nichts Wahres. Schließlich berichtete sie noch, daß an der Gemeindetafel angeschlagen sei, daß sich heute alle Männer zwischen 17 – 60 Jahren zu melden hätten u. daß morgen alle Radio-Geräte abzuliefern seien.
Heute Morgen kam Trude wieder. Sie hatte gestern gesehen, daß vier Wustrower Männer unter russ. Bewachung nach Althagen gebracht worden seien, unter ihnen sei auch Fritz Peters gewesen. Diese Männer sind im Hause Bendix interniert worden u. sie werden in dem Gelände der Batterie mit Erdarbeiten beschäftigt. Alle vier waren ehemalige Nazis. Die Sache ist also vollkommen in Ordnung. Die Russen benötigen Arbeiter, wahrscheinlich zum Latrinenbau u. ähnlichem, u. sie holen sich dazu ehemalige Nazis. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Wir nehmen die Tatsache, daß sich die Männer heute melden müssen, zum Anlaß, um die Einladung zu Gretel Neumanns Geburtstag abzusagen. Wenn ich mich selbst auch nicht zu melden brauche, da ich annehme, daß man mich zu den 60-jährigen rechnen wird, obwohl noch 6 Wochen daran fehlen, so muß sich doch Bachmann melden u. da wird die Stimmung nicht sehr gut sein.
4 Uhr nachm. War Vormittags an der Gemeindetafel, um mir den Anschlag anzusehen. Er nennt sich „Wehrmachts-Befehl Nr. 1.“ u. geht vom Befehlshaber in Ribnitz aus. Er ist ziemlich umfangreich. Wesentlich ist neben der Meldung der Männer zwischen 18 – 60 Jahren, daß Waffen u. Radiogeräte abzuliefern sind u. daß alle Arbeiter u. Geschäftsleute sofort ihre bisherige Arbeit wieder aufzunehmen haben. – Es standen dort natürlich viele Leute, darunter auch Frau Booth, die sich am meisten dafür interessierte, ob sie sich auch melden müsse, da alle Leute der SS u. SA, der NSKK. des SD u. der Polizei, auch der HJ u. BdM u. der Frauenschaft sich zu melden haben. Die NSV war aber zur großen Erleichterung von Frau Booth nicht dabei. Frau Booth fing nun an, auf den Führer zu schimpfen. Ich drehte mich um u. sprach vor allen Anwesenden meine Verwunderung aus, daß jetzt diejenigen, die
Hans Brass: TBHB 1945-05-18. , 1945, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-19_001.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2024)