11 Uhr vorm. Soeben war Dr. Ziel da u. erstattete Bericht über alles, was los ist, so weit er Kenntnis davon hat. Er hat den russ. Kommandanten, der bisher in Wustrow war, jetzt aber in Althagen in der Batterie ist, aufgesucht u. ihm die Angelegenheit der Plünderungen vorgestellt. Er hat bei diesem Offizier, einem Major, großes Verständnis gefunden u. hat erreicht, daß nun nachts eine Streife geht u. daß Dr. Hahn ihn zu benachrichtigen hat, wenn etwas passiert. Der Kommandant ist dann selbst mit Dr. Ziel hierher gekommen u. ist durchs ganze Dorf gegangen bis zum Kinderheim, wo er selbst Soldaten beim Plündern überrascht hat. Er soll sie sehr energisch zurechtgewiesen haben, die gestohlenen Sachen mußten sie wieder abliefern. Ich habe allerdings nicht gehört, daß diese Soldaten bestraft worden wären, – eine energische Zurechtweisung dürfte kaum sehr wirksam sein über den Einzelfall hinaus. Immerhin ist eine Tendenz zur Besserung da. Dr. Ziel will morgen nach Damgarten, um den dortigen Kreiskommandanten ebenfalls zu besuchen u. ihm die Dinge vorzustellen. Dr. Z. nimmt sich zu all diesen Besuchen stets den Herrn Gläser (oder so ähnlich) mit, der ein Verwandter von Frau Margot Seeberg ist u. bei ihr wohnt u. der vorzüglich russisch spricht. Der Kommandant hat diesem Herrn, sowie Frau Marie Seeberg sogar einen Höflichkeitsbesuch gemacht.
Daß dennoch alle Bemühungen um Ordnung noch nicht vollen Erfolg haben, zeigt, daß in dieser Nacht zwei Russen in das König'sche Haus einzudringen versucht haben, um Frauen zu suchen. Wahrscheinlich waren es dieselben Burschen, die um 1 Uhr Nachts auch bei uns in's kleine Haus kommen wollten. Da ich noch am Fenster meines Schlafzimmers saß, beobachtete ich die beiden u. rief sie an. Schließlich zogen sie wieder ab. Ich war noch auf, weil ich vorher zwei Weiber dabei erwischt hatte, als sie über den Gartenzaun vorm großen Hause stiegen, um wahrscheinlich Blumen zu klauen. –
Sonst ist der gestrige Pfingstsonntag ruhig u. schön verlaufen bei prächtigstem Wetter. Heute ist es teilweise bewölkt, doch ist das Wetter immer noch schön. Heute Nachmittag wollen wir nach Frau Longard sehen.
Wir haben Fleisch bekommen, sodaß zu Pfingsten jeder etwas Fleisch essen konnte. Mehl ist noch nicht gekommen, auch alle anderen Nahrungsmittel fehlen. Das Lebensmittel-Auto ist aber heute wieder unterwegs, es nimmt jedesmal 15 Flüchtlinge mit. Es sollen bis jetzt etwa 250 Flüchtlinge den Ort schon verlassen haben, aber 600 Flüchtlinge oder mehr sind noch immer im Ort.
Der Brand im Hause am Meer ist zum Glück gelöscht worden. Martha war dort u. sagt, daß es in diesem Hause furchtbar aussieht. Die dort wohnenden Flüchtlinge haben alles gestohlen, bzw. verschoben.
Schlimm ist, daß man nun seit 3 Wochen überhaupt keine Nachrichten mehr hat u. niemand weiß, wie es denn nun weitergehen soll. Gestern wurden alle Radio-Geräte im Gemeindeamt abgegeben, von uns insgesamt 7 Apparate. Werden wir je einen davon wiedersehen? Dr. Ziel sagte eben, daß am Schwarzen Brett angeschlagen sei, daß die weißen Fahnen, mit denen die Häuser bisher beflaggt waren, einzuziehen seien u. daß ein Beflaggung künftig nur in schwarz=weiß=roten Farben erfolgen dürfe. Also sind auch rote Fahnen verboten.
Hans Brass: TBHB 1945-05-21. , 1945, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-05-21_001.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2024)