Gestern war unser Kommandant von 10 – 12 Uhr im Amt. Er bekam viel zu tun mit Unterschriften von Passierscheinen. Es ist zwar unangenehm, die Russen da sitzen zu haben, aber andererseits ist es auch gut, wenn man gleich die Dinge mit ihnen besprechen kann. So konnte ich gleich die Entführung unserer Boote u. Netze nach Wustrow mit ihm bereden u. ihm klar machen, daß er selbst nun ebensowenig Fische bekommt, wie wir. Er sah das wohl ein, aber es scheint, daß er da nichts machen kann. Bauer Paetow klagte über Wildschaden durch Schweine. Auch das konnte ich ihm sagen u. ihn veranlassen, die Schweine abzuschießen. Er sagte es zu u. ich bat ihn gleich, auch uns ein Schwein abzugeben, was er mir auch versprach. – Am Nachmittag beschlagnahmten die Russen sämtliche Butter in der Molkerei, die heute hier verkauft werden sollte, sodaß wir nun wieder keine Butter haben. Die Brotrationen, die ab Montag auf 1000 gr. wöchentlich erhöht worden waren, sind wieder auf 500 gr. herabgesetzt worden. Herr Granzow aus Rostock war vom Landratsamt hier u. berichtete, daß Rostock voll Russen wäre u. daß es mit der Ernährung noch schlimmer wäre, als bei uns. – Heute früh berichtet Trude, daß in Wustrow u. Althagen einige Fälle von Maul= u. Klauenseuche aufgetreten seien. Das hatte grade noch gefehlt.
Gestern Mittag wurde der alte Herr Gläser plötzlich nach Wustrow zum Kommandanten bestellt. Er mußte zu Fuß hin u. zurück. Er war vorher bei mir u. war sehr besorgt, aber Abends hörte ich, daß er zurückgekommen wäre.
Eine neue Gemeindeschwester kam aus Born u. brachte mir Dienstpost vom Landratsamt Barth, die ich aber nicht annahm. Offenbar wissen sie dort immer noch nicht, daß wir jetzt zu Rostock rechnen. Ich sagte der Schwester, daß wir ihre Dienste hier nicht benötigen, worüber sie sehr erfreut war.
Gestern Abend kam ein Hauptmann vom Kommando-Stabe der hiesigen Truppen in Begleitung unseres Kosakken-Wachtmeisters. Er suchte sich vier Radio-Geräte aus, die für den General, den Oberst u. sonst noch andere Offiziere sein sollten. Der General u. der Oberst werden heute hier erwartet. Es ist gestern am Darss-Ausgang des Dorfes ein neuer Schlagbaum errichtet. Der Wachtmeister forderte für heute 1 Gespann u. 15 Mann an, die ein Stacheldraht-Verhau von der Ostsee bis zum Bodden errichten sollen, dazu 6 Frauen, die das Kurhaus sauber machen sollen. Auf dem Dach des Kurhauses ist ein Beobachtungsposten eingerichtet worden.
Heute früh sandte Dr. Hoffmann einen Boten, es solle sofort eine Liste aller Parteigenossen an den Kommandanten nach Wustrow eingereicht werden zwecks Arbeitseinsatz.
Den Mittwoch-Vortrag ließ ich gestern Abend ausfallen bis auf weiteres, – es geht nicht mehr.
Wir bekommen sehr hohe Spenden für die Notgemeinschaft. Martha macht ihre Schneiderei sehr gut, es kommen mehr u. mehr Russen u. lassen sich Uniformen machen.
Die neue Konferenz mit Stalin u. den Westmächten wird nun bald beginnen. Es handelt sich dabei um das polnische Problem.
Hans Brass: TBHB 1945-06-13. , 1945, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-06-14_001.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2024)