Kommandant abgelöst worden sei. Es wird zwar ein neuer kommen, aber es ist höchst unwahrscheinlich, daß der neue wieder ein so ekelhafter Kerl ist, wie der alte war. Diese angenehmen Nachrichten veranlaßten mich, meinen Geburtstag voraus zu nehmen u. Dr. H. zu einer Flasche Wein einzuladen.
Heute früh kam ich dazu, wie zwei Wagen auf dem Platz vor dem Gemeindeamt standen u. die dort lagernden Pflastersteine aufluden. Sie hatten Befehl dazu von den Russen. Ich ließ wieder abladen u. schickte die Wagen fort. Leider war vorher schon Bauer Nagel ebenfalls dagewesen u. hatte einen ganzen Wagen voll abgefahren.
Gestern Nachmittag war Frau Longard bei uns. Sie brachte mir ein Näpfchen mit Blaubeeren mit u. ein Buch von Abt Ildefons Herwegen aus Maria-Laach.
Auf Befehl der Russen mußten wir in dieser Nacht die Uhren um eine Stunde vorstellen. Wir sind nun um zwei Stunden vor der Mitteleurop. Zeit voraus, da die osteurop. Zeit eine Stunde voraus ist u. außerdem noch die Uhr um eine Stunde Sommerzeit vorausgestellt ist. Um Mitternacht ist es auf diese Art noch fast heller Tag, da es eigentlich erst 10 Uhr ist.
4 Uhr nachm. Die Pflastersteine habe ich doch nicht retten können. Die Russen wollen den Gang im Pferdestall damit pflastern. Außerdem höre ich eben, daß der Wustrower Kommandant wieder zurückgekommen sein soll. – Der Ertrag der Beschlagnahmung bei Frau Bertsch war erheblich. – Es bestätigt sich, daß die Russen, die gestern bei den PG's Haussuchungen gemacht haben, unsere Dolmetscherin Frau Kansi vergewaltigt haben. Die Frau ist gegen 55 Jahre. Herr Bachmann, dessen Wohnung eben ausgeplündert wurde u. dem man alle Anzüge, Wäsche u. Schuhe genommen hat, will jetzt versuchen, nach Berlin zu kommen. Gestern hörte ich im Rundfunk, daß der Gesundheitszustand in Bln. sehr gefährdet sein soll, es gibt einige Fälle von Cholera. Wenn eine Seuche ausbricht, werden die Folgen furchtbar sein.
Gestern Nachmittag waren wiederum Herr Harder u. sein Genosse im Dorf u. machten Haussuchung. Bei Bertsch wurde nochmals nachgesucht u. viel beschlagnahmt. Es gab dann eine kleine dramatische Zuspitzung, da unser Michael sich einmischte u. verhindern wollte, daß von diesen zuletzt beschlagnahmten Sachen einiges nach Wustrow ging. Es gelang ihm jedoch nicht, auch er ließ sich dumm machen von Dr. Hoffmann, der dabei war. Dafür aber ließ sich unser Michael drei Mann geben u. ging mit ihnen in das Haus Kleinberg, wo er ziemlich große Mengen von Haushaltwaren, Waschmitteln u. Seife beschlagnahmte u. uns die Sachen zur Verfügung stellte. Frau Kleinbergs Sohn hat ja eine Drogerie u. die Sachen hat er wohl hier gehabt im Ausweichlager, weil sie in Berlin zu gefährdet waren.
Borchers hat heute früh einen Russen erwischt, der offenbar auf Diebestour war. Vielleicht war der Einbruch bei uns doch von Russen.
Wie ich erst später feststellte, haben Dr. Hoffmann + Herr Harder mich wiederum betrogen. Die ganzen Sachen, die bei der zweiten Durchsuchung bei Bertsch gefunden, worden waren, sind wieder restlos nach Wustrow gekommen, ohne daß wir auch nur das geringste behalten hätten. Im Gegenteil: es wurden noch von dem Mehl, was wir schon hatten, noch 60 Pfd. abgewogen u. mitgenommen.
Hans Brass: TBHB 1945-07-09. , 1945, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-07-10_001.jpg&oldid=- (Version vom 21.9.2024)