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Seite:HansBrassTagebuch 1945-09-30 001.jpg

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Amt, da ich dummerweise mit Ribnitz telephoniert hatte, – wir haben seit etwa 10 Tagen wieder Telephon –, aber es gibt außer Behörden niemanden, mit dem man telephonieren könnte, weil die Russen alle Apparate weggeschleppt haben. Von Ribnitz wurde mir gesagt, daß der Ausschuß für Bodenreform sofort zusammentreten solle u. eine Liste von Leuten aufstellen solle, die gerne Land haben wollen. Ich ließ also den Ausschuß zusammentrommeln, aber es erschienen von den 7 Mitgliedern nur zwei. Wir machten drei Leute namhaft, die wir nicht fragten, ob sie wollten, weil dazu keine Zeit war. Diese Liste soll bis Montag 8 Uhr morgens in Ribnitz sein.

     Später kam Frl. Neumann dazu u. brachte Nachricht, daß wir Kartoffeln u. Salz bekommen. Salz haben wir seit dem März nicht mehr gehabt, wir kochen alles mit Seewasser, um Salzen zu können. Bei dieser Gelegenheit erzählte sie, daß sie heute in Ribnitz gehört habe, daß der russ. Kommandant angeordnet hätte, alle Besitzer großer Güter sollten bis Montag ihre Besitzungen geräumt haben. Die Güter sollten bis Montag an landlose Leute aufgeteilt werden. Es ist kompletter Wahnsinn.

     Wir verhandelten mit Frl. Neumann u. Frau Leplow über Schlachtung u. Fleischverkauf. Außer mir war noch Herr Kühme u. Frau Schuster zugegen. Ich saß dabei u. sprach kein Wort, weil ich einfach das Interesse für diese Dinge nicht mehr aufbringe. Ich fragte mich im Stillen, mit welchen Recht ich als sog. Bürgermeister überhaupt noch dabei saß. Ich bin da völlig überflüssig.

     Abends zuhause erzählte mir Martha von einem höchst unerfreulichen Besuch der Herrn Dr. Ziel. Auch war ein Brief von Dr. Hahn aus den Krankenhause in Wustrow gekommen, der anscheinend bei hochgradigem Fieber geschrieben war u. dessen Sinn ich nicht verstehen konnte. Der arme Kerl wird Glück haben, wenn er lebend davon kommt. Oder Pech? –

     Ich erwäge sehr ernst, ob ich das Amt niederlegen soll. Die Aufforderung, mich an einer Kunstausstellung zu beteiligen, ist vielleicht ein Wink. – ? –

Sonntag, 30. Sept. 1945.     

     Gestern Abend die Möglichkeit meines Rücktritts mit Martha besprochen, die den Gedanken sehr begrüßte. Auch sie hat sich nun ja endlich die große Plage der Russen=Schneiderei u. der Notgemeinschaft vom Halse geschafft, nachdem sie die Notküche bereits vor 14 Tagen eingestellt hat. –

Heute Morgen brachte Borchers die Nachricht, daß bei Paetow ein Kalb gestohlen worden ist, sowie mehrere Säcke Kartoffeln. Die Spuren des Kalbes weisen deutlich nach Althagen, die Kartoffeln dagegen scheinen bei den neuen Leuten im Monheim'schen. Hause gelandet zu sein. Es ist ja verständlich, da die Leute nichts zu essen haben u. da es bei uns auch kein Brot gibt. Die Leute scheinen ebensowenig Nachschub zu haben, wie die Kosaken u. so müssen sie stehlen, wenn sie leben wollen.

     Seit Tagen gehen hier Gerüchte um, die nicht verstummen wollen. Gerüchte gibt es seit dem Mai viele, aber diesmal ist dieses Gerücht besonders hartnäckig, denn viele wollen es in irgend einer Zeitung gelesen haben. Da es schon lange keinen Strom am Tage gibt u. Zeitungen selten herkommen, erfährt man ja nichts. Es heißt da, es sollten die Deutschen Grenzen von 1937 wieder hergestellt werden. Das ist allerdings schon vor Kriegsende, wenn ich nicht irre, in Sa. Franzisko, gesagt worden u. ich habe es selbst im engl. Sender gehört. Danzig u. der ehem. Korridor sollen polnisch werden, alles

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Hans Brass: TBHB 1945-09-29. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-09-30_001.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2024)