Gestern Nachmittag war in der Schule evang. Gottesdienst, den der Pfr. Lic. Plaß aus Prerow hielt, ein Mann, der ein ganz ausgezeichneter Prediger ist u. sicher auch ein sehr frommer Mann. Es waren aber nur 36 Menschen da, die teilnahmen, alles Frauen, außer dem alten Zeplien, Herrn Brandt u. mir selbst, wenn ich vom Lehrer Deutschmann absehe, der wohl nur pflichtgemäß dabei ist um den Gesang anzustimmen. Dieser Gottesdienst findet alle 4 Wochen statt u. ich werde des guten Beispiels wegen immer hingehen, zumal dieser Pfarrer wirklich sehr gut predigt. Er freute sich auch sichtlich, daß wir da waren u. er dankte mir, daß ich ihn unterstütze. Nach dem Gottesdienst lud er die Anwesenden zur Abendmahlsfeier ein. Er sagte, daß er leider keinen Wein mehr hätte u. daß er deshalb Tee nähme! Ich dachte bei mir, daß er leider auch keinen Tee mehr hätte u. darum Brombeerblätter nähme. Es offenbart sich darin die ganze Aushöhlung des Sakraments bei den Protestanten u. es ist deshalb erklärlich, daß keiner von den Anwesenden das Bedürfnis hatte, an der Abendmahlsfeier teilzunehmen.
Anschließend gingen wir zur alten Frau Longard, bei der wir wieder ein sehr angeregtes Kaffeestündchen verbrachten.
Bisher hatten wir einen schönen, sonnigen Herbst, aber seit heute ist es trübe u. recht kalt. Wir bekamen heute morgen ein großes Stück Pferdefleisch von Tietz in Althagen, ein Pferd von Dr. Umnus, das da geschlachtet worden ist. Seit langer Zeit wieder einmal etwas Nahrhaftes zwischen den Zähnen.
Heute morgen kam Helm-Saatmann ins Amt u. berichtete, daß die Russen seinen Sohn Herbert erschossen hätten. Ich ging, sobald ich konnte, zum Monheim'schen Hause u. nahm Herrn Gläser als Dolmetscher mit. Der junge, stotternde Leutnant kam auch gleich heraus. Er sagte, seine Soldaten hätten Herbert in der Nacht gegen 1/2 12 Uhr in der Nähe des Darss aufgegriffen u. ihn zum Monheim'schen Hause gebracht. Er hätte gleich verhört werden sollen, doch hätte er nichts gesagt. Die Russen haben ihn dann die Nacht über festgesetzt. Heute Morgen hätte der Leutnant ihn wieder vernehmen wollen, aber Herbert hätte wieder nicht geantwortet. Dann habe Herbert gebeten austreten zu dürfen u. bei dieser Gelegenheit habe er einen Fluchtversuch gemacht. Der Bewachungssoldat hat drei Mal stoi gerufen u. hat zweimal in die Luft geschossen. Als Herbert dann bereits über den Zaun gestiegen sei, habe er auf ihn geschossen. Er wurde getroffen u. war nach Ansicht des Leutnants sofort tot. Die Leiche liegt an der Stelle, wo er gefallen ist, außerhalb des Zaunes. Der Leutnant erklärte mir, daß eine Kommission aus Zingst kommen u. ein Protokoll aufnehmen würde. Die Kommission würde darüber entscheiden, ob die Leiche freigegeben werden soll oder nicht. –
In diesem Moment bringt ein Junge die Nachricht, daß ein russ. Auto am Gemeindeamt sei. Ich glaubte, es sei die Kommission aus Zingst u. ging gleich hin. Es waren aber zwei Herren der GPU aus Ribnitz mit Herrn Frey. Die GPU-Leute in Offiziersmänteln u. Frey fragten mich nach der Wohnung von Deutschmann. Auf dem Wege dorthin fragte Frey nach der Wohnung von Kühme. Ich zeigte ihm das Haus, sagte, daß K. verreist sei, worauf Frey wütend seine Cigarette hinschmiß. Er fragte, wann er wieder käme, ich sagte, daß ich es nicht wüßte, er wäre nach Berlin gefahren, um seinen Beruf wieder aufzunehmen. – Die Herren gingen dann zu Deutschmann u. ich war entlassen.
Ich blieb dann lange am Gartenzaun stehen, um zu beobachten, ob Deutschmann abgeholt würde, aber es geschah nichts. Dann kam Grete in furchtbarer Aufregung u. sagte mir,
Hans Brass: TBHB 1945-10-08. , 1945, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-10-08_001.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2024)