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Seite:HansBrassTagebuch 1945-11-17 001.jpg

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damit kann er ganz gut leben, abends kam dann auch noch Herr Degner mit allgemeinen dienstl. Angelegenheiten. Ich bat ihn, Paul u. die Herren vom Gemeindevorstand mit Herrn Krull zu heute früh 10 Uhr zu mir zu bestellen. Heute früh kam auch noch Frau Schuster u. sagte mir, daß sie gestern Abend noch bei Herrn Küntzel gewesen sei u. daß sie gefunden habe, Paul wäre jetzt halb u. halb bereit, das Amt zu übernehmen, wenn es ihm angetragen würde.

     So hatten wir also eben die Sitzung in meinem Privat-Zimmer. Ich hatte mir alle Argumente genau festgelegt u. legte sie den Herren dar. Paul machte vier Gegenvorschläge in verschiedenen Kombinationen, von denen der letzte eigentlich eine Annahme meines Vorschlages bedeutete, nur mit verschiedenen kleinen Klauseln. Ich ging natürlich nur auf diesen letzten ein, der auch die Zustimmung der übrigen Herren fand. Nach viel Hin u. Her erbat sich Paul 24 Stunden Bedenkzeit, sodaß wir diese Sitzung morgen um 10 Uhr nochmals wiederholen werden. Die Herren verabschiedeten sich u. Paul blieb noch zu einer Cigarette. Ich hatte den Eindruck, daß er die Sache nun doch annehmen wird, – u. das wäre das Allerbeste. Der Hl. Geist hat wieder einmal überraschend geholfen u. die sehr verwirrt scheinende Lage geklärt. Hoffentlich wird sich alles so weiter entwickeln.

Sonnabend, 17. Nov. 1945.     

     Endlich konnte wieder einmal ein Schwein geschlachtet werden, seit vielen Wochen oder gar mehreren Monaten ein Schwein! – u. dieses geschlachtete Schwein haben die Russen bei Leplow gestohlen. –

     Gestern Nachmittag erschien mit Frau Schuster ein junger Mann aus Ribnitz, der mir eröffnete, daß Ahrenshoop sofort 500 Ostflüchtlinge aufnehmen müßte. Ich sagte, daß das schlechthin unmöglich wäre. Er erzählte mir daraufhin von dem neuerlichen Flüchtlingselend. In Ribnitz kämen Züge über Züge mit Flüchtlingen an in einem grauenhaft elenden Zustande u. man müsse sie eben unterbringen, egal wie auf Stroh in Sälen u. einzel-Häusern. Ich wies ihm nach, daß wir ja schon etwa das Doppelte unserer Einwohnerzahl an Flüchtlingen beherbergen u. daß die leeren Häuser hier ohne Oefen u. ohne Fensterscheiben wären. Außerdem haben wir überhaupt keine Ernährung, weder Kartoffeln noch Brot. Der Herr erwiderte, daß das in allen anderen Gemeinde ebenso wäre u. daß eben den Flüchtlingen geholfen werden müßte mit allen Mitteln. Er schilderte mir das Elend dieser Menschen, wie sie jetzt dauernd in Ribnitz einträfen u. das wahrhaftig grauenhaft sein muß. Die Leute sind voll Läuse, sie haben nichts, als das, was sie auf dem Leibe tragen, sie sind verhungert, krank u. elend. Ich entgegnete, daß ich um so mehr verpflichtet sei ihre Aufnahme abzulehnen. Ich sagte, es sei leichter, einfach ja zu sagen, die 500 Menschen herkommen u. sie dann hier zugrunde gehen zu lassen. Ich sagte, daß ich doch die Verantwortung dafür übernehmen müßte, u. das könnte ich nicht, da das Dorf schon selbst nicht genug zu essen u. keine Feuerung hat. Soll ich nun das vorhandene Elend noch vergrößern u. dazu Seuchen einschleppen lassen, bloß weil die sog. Landesregierung selbst nichts tut u. die Last auf die Landgemeinden abschieben will? Ich sagte ihm, daß wir doch kein Bauerndorf seien, daß wir ein Badeort sind ohne Landwirtschaft u. überdies ausgeplündert u. ausgesogen von den Kosaken, daß die Leute hier längst kein Geld mehr haben, weil sie keine Verdienstmöglichkeit besitzen usw. Nun, wir einigten uns schließlich auf 150 Flüchtlinge, von denen ich etwa 100 im Kinderheim u. 50 im Saal des Balt. Hof

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Hans Brass: TBHB 1945-11-16. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-11-17_001.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2024)