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Seite:HansBrassTagebuch 1945-12-04 001.jpg

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waren, daß ich diesen nicht geholt hätte. Neue Auseinandersetzung u. neues Mißtrauen, neue Erregung. Der Leutnant schrie wieder, daß er das ganze Dorf antreten lassen wolle, um Einzelne erschießen zu lassen. Neue Beruhigung meinerseits. Die Russen beharrten auf der Ansicht, daß sich eine Bande im Walde verborgen halte, um Ueberfälle zu organisieren. Dagegen war nichts zu machen. So würde es in Rußland sein u. sie glauben, es wäre hier ebenso. Ich machte ihnen nun Vorschläge, was zu tun sei. Ich sagte, daß wir zuerst den Bürgermeister von Althagen benachrichtigen würden, ferner den Kommandanten von Althagen u. endlich die Kreispolizei. Ferner solle heute früh der neue Bürgermeister zu diesem Leutnant kommen u. mit ihm soll gleich Herr v. Achenbach als Vertrauensmann der Kommunisten auch hingehen.

     Der Leutnant sah nun wohl ein, daß ich alles tun wollte, was in meiner Macht stand u. daß im Augenblick jedenfalls nichts weiter zu tun sei. Er ließ mir erklären, daß er im Falle einer Wiederholung eines solchen Vorfalles nicht nur den neuen Bürgermeister, sondern auch mich verhaften lassen würde u. damit zog die ganze Bande endlich um 1/2 11 Uhr wieder ab. Wir atmeten erleichtert auf, aber ich muß gestehen, daß mich bisher noch kein Erlebnis mit den Russen so erregt hat, wie dieses. Es ist im höchsten Grade unheimlich, daß mir Verhaftung droht für Dummheiten, die von Flüchtlingen aus dem Nachbardorf begangen werden. Das kann sich ja jeden Augenblick wiederholen u. ich bin völlig machtlos.

Dienstag, 4. Dezember 1945.     

     Am Freitag ist Kapitän Hans Krull gestorben, er wird heute begraben. Er war ein anständiger Kerl u. es ist schade, daß er nicht mehr ist. Am Sonntag ist, wie ich eben erst höre, Frl. Olzen gestorben, während die alte Frau Geh. Rt. Koehn, ihre Schwester, zwar dauernd im Bett liegt u. krank ist u. alle Leute schikaniert, aber nicht stirbt. – Der alte Herr Gläser ist ebenfalls sehr krank, doch scheint es so, als wollte er sich wieder erholen.

     Gestern kamen wiederum Briefe von Fritz u. Ruth mit der gleichen Post. Fritzens Brief, war Nr. 2, also in normaler Folge, während Ruth's Brief älteren Datums war. Sie schreibt anschaulich von Ortrun, die mit ihrer reinen Kinderseele mühelos in das religiöse Leben eindringt. Der Ernst, der diesem seltsamen Kinde eigen ist, macht sie für das Religiöse ungemein empfänglich. Da nun ihre Schule von kathol. Schwestern geleitet wird u. Ortruns Lehrerin eine Nonne ist, wird das noch sehr gefördert. Dazu kommt das tiefe Erlebnis vom Tode Hartmuts, welches immer noch lebendig ist.

     Auch der Brief von Fritz enthält zum ersten Male positive Gedanken über Religion. Er hat im Gefangenen-Lager eine Bibliothek eingerichtet u. dabei ist ihm eine biblische Geschichte für die Jugend in die Hände gekommen, die er nun liest. Er schreibt darüber sehr nett, daß er sich freut, da Geschichten zu finden, die er einmal früher in der Schule gehört hat, die aber keine bewußte Erinnerung in ihm hinterlassen haben. Diese zugeschütteten Erinnerungen brechen nun plötzlich wieder auf. Er liest nun auch im Neuen Testament u. ist begierig darauf, zu hören, wie der Pfarrer am Sonntag diese Dinge auslegen wird. – Wenn Fritz früher in seinen Briefen manchmal Bemerkungen über religiöse Dinge machte, dann waren das immer nur Phrasen, die fatal klangen u. die er machte, um uns einen Gefallen zu tun, jetzt schreibt er zum ersten Male echt davon.

     Papenhagen hat mir immer noch nicht die Keilrahmen

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Hans Brass: TBHB 1945-11-30. , 1945, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1945-12-04_001.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2024)