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Seite:HansBrassTagebuch 1946-01-18 001.jpg

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nicht wohl. Ich fühle wieder dieses unbehagliche Gefühl in der Nierengegend, aber heute hat es sich über die ganze rechte Hüfte u. das rechte Bein ausgedehnt, sodaß mir Bewegungen schwer werden.

     Von Ruth kamen drei Päckchen mit kleinen Lebensmittelgaben, von Martha Bahnson ein sehr netter Brief.

     Abends hörten wir ab 9 Uhr, sobald das Licht angeht, wie jeden Abend den englischen Sender. Wenngleich diese Leute natürlich auch ihre Sendungen für Deutschland auswählen, so tun sie das mindestens sehr geschickt. Aber sicher ist, daß in dieser Nation ein Geist von Freiheit u. Demokratie herrscht, der für uns Deutsche einfach berauschend ist. Ich habe diese Nation stets bewundert, aber jetzt liebe ich sie.

Freitag, 18. Januar 1946.     

     Gestern das kleine Blumenstück angelegt, das ganz entzückend zu werden verspricht. Dann bei Gräff, um Grundierfarbe zu besorgen für die anderen Leinewände. Er wird mir heute die Farbe bringen.

     Nachmittags beschäftigte ich mich mit dem Evangelium vom kommenden Sonntag, die Hochzeit von Kana. Ich kam auf neue Gedanken, die sich festsetzten. Vorm Schlafengehen las ich das Evangelium nochmals u. da war es, als hätte ich es bisher noch nie verstanden. Dieses Evangelium war mir bisher immer ziemlich banal vorgekommen, aber jetzt entschleierte sich mir ganz plötzlich sein tiefer, symbolischer Gehalt. Das Erlebnis war so stark, daß ich Nachts darüber nicht schlafen konnte. Ich werde Fritz, der jetzt ja so sehr gern Auslegungen des Evangeliums hören möchte, darüber schreiben.

Sonnabend, 19. Januar 1946.     

     Gräff brachte die Grundierfarbe gestern natürlich nicht, er schickte sie erst gestern Abend, sodaß ich heute erst zum Grundieren der Leinewände kommen werde. Ich schrieb an Fritz über das Evangelium.

     Das Christusbild machte sehr große Schwierigkeiten. Ich mußte es immer wieder von Grund auf ändern u. rang mit ihm in immer erneutem, anhaltendem Gebet, wozu ich die Stunden der Dunkelheit zwischen 4 – 9 benutzte, die überhaupt hierzu sehr geeignet sind; aber auch des Nachts betete ich viel, da mich die Gedanken nicht schlafen ließen. Gestern nachmittag fiel mir nun während des Gebets die richtige Lösung ein, die ich dann abends vor dem Schlafengehen noch ausführte. Jetzt sitzt die Zeichnung tadellos, ihre verblüffende Einfachheit ist der beste Beweis für ihre Richtigkeit.

     Die Komposition eines solchen Bildes ist sehr geheimnisvoll u. erscheint mir stets wie ein Wunder. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte u. keine errechenbaren Gesetze, nach denen die Linien grade so sein müssen, u. doch gibt es immer nur diese eine einzige Lösung, die man eben finden muß. Alle anderen Lösungen sind falsch oder mindestens unvollkommen, aber weshalb sie das sind, kann ich nie sagen, es gibt keine Gründe dafür. – Das Suchen nach der richtigen Lösung hat Ähnlichkeit mit dem Zustande, den Johannes vom Kreuz „Die Nacht des Glaubens“ nennt. Auch im Glauben gibt es keinerlei Beweismittel, man muß sich dem Glauben bedingungslos hingeben, ohne sich am sicheren Geländer des Verstandes festzuhalten. Es ist das ein beängstigender Zustand, den Joh. v. Kr. eben „Nacht“ nennt, was überaus treffend ist. Auch beim Komponieren eines Bildes tappt man völlig im Dunkel u. das Schlimme ist, daß sich das jedesmal wiederholt. Man sollte meinen, daß sich die Sache lernen ließe, sodaß man es mit zunehmender Erfahrung dann

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Hans Brass: TBHB 1946-01-18. , 1946, Seite 001. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-01-18_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2024)