Ich hatte nicht geglaubt, daß ich dieses Bild heute schaffen würde, da ich eine sehr schlechte Nacht hatte. Ich fürchte, daß sich meine Vermutung betreffend Nierensteine bewahrheiten wird. Während der Nacht mußte ich alle Stunde aufstehen wegen starken Urindrang, obwohl ich nichts getrunken hatte u. tatsächlich auch nicht viel Urin vorhanden war. Heute am Tage ist es etwas besser. So viel ich weiß, ist solch ständiger Urindrang ein Zeichen für das Vorhandensein von Nierensteinen. Ich habe vorgestern, als Trude nach Wustrow ins Krankenhaus ging, ihr ein Fläschchen mit Urin zur Untersuchung mitgegeben, ich denke, daß Dr. Lasch oder Dr. Meyer mir bald sagen lassen werden, wie es damit steht.
Ich werde nun morgen gleich das Muttergottes-Bild untermalen. Es ist das dann schon das neunte Bild, welches ich im Jahre 1946 male, u. das zehnte, seitdem ich das Bürgermeisteramt los bin.
Seit einigen Tagen haben wir wieder ein kleines Radio durch Herrn Heyde, der ein einigermaßen brauchbares Gerät zusammengebastelt hat, nachdem ein anderes Gerät, das er uns vorher gegeben hatte, nichts taugte.
Herr Bütow. der von Zeit zu Zeit nach Berlin fährt u. dabei für uns dort Lieferanten besucht, kam heute abend zurück u. brachte für rd. 1200,– Rm. Waren mit von Weckmann u. R. W. Grube u. Co. Die Ware von Weckmann besteht aus dem gewohnten Kitsch, aber diese Sachen können sofort verkauft werden. Martha will das Geschäft am Montag aufmachen, wir brauchen doch etwas Geld, da wir seit dem 1. Oktober, seitdem die Russenschneiderei nicht mehr im Gange ist, dauernd Löhne zahlen, ohne Einnahmen zu haben.
Die Reibungen zwischen Rußland u. England nehmen ständig zu. Jetzt handelt es sich wieder um Persien. Die Russen waren verpflichtet, dieses Land bis zum 2. März zu räumen, aber sie denken garnicht daran. So hat es wieder neue diplomatische Noten gegeben, auch von Seiten Amerikas. Die Verhältnisse werden immer gespannter.
Von Ruth bekamen wir heute drei Päckchen mit Kaffee-Ersatz, mit Bohnen u. mit Nudeln. Ich freute mich sehr. Allmählich fängt diese Hungerei an, fatale Formen anzunehmen. So sehr ich mich freue, daß Fritz kommt, tut er mir doch leid, er war in französ. Gefangenschaft gut verpflegt.
Diese Zwischenzeit ist sehr anders verlaufen, als ich dachte. Am Donnerstag war ich nicht mehr fähig, zu arbeiten. Ich saß den ganzen Morgen vor der Staffelei, dösend. Mittags maß ich meine Temperatur, die über 39º war. Ich bin gleich zu Bett gegangen u. Martha benachrichtigte Dr. Meyer, der aber in Schwerin war u. von Dr. Lasch vertreten wurde. Dr. Lasch stellte nach dem Krankheitsbild mit immerwährendem Urindrang eine Nierenbecken= u. Blasen=Entzündung fest u. wollte die ganze Sache sehr harmlos ansehen. Ich wußte, daß sie das nicht war; aber ich konnte Dr. L. nicht übel nehmen, wenn er nicht gern herkam, denn es war inzwischen ein tolles Schneewetter ausgebrochen, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagen konnte.
Hans Brass: TBHB 1946-03-13. , 1946, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-03-23_001.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2024)