Gestern Abend traf die Pfarrhelferin, die jetzt in Ribnitz bei P. Beckmann stationiert ist, bei uns ein. Eine sehr sympatische, fromme u. dabei sehr aufgeschlossene u. frohgelaunte junge Dame, Berlinerin, Frl. Ruthenberg. Sie erzählte u. a. eine sehr interessante Begebenheit. Die SED. in Ribnitz hat den Vorsitzenden der Ortsgruppe der CDU., Herrn Querhammer, einen 66 jährigen Ribnitzer Geschäftsmann, angegriffen u. allerhand Vorwürfe erhoben. Darauf berief, die CDU. am Freitag eine Versammlung, um Herrn Querhammer Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern. In dieser Versammlung erschienen auch zwei russische Offiziere mit zwei Soldaten. Der zweite Vorsitzende, Direktor der höheren Schule, hielt eine einleitende Ansprache u. forderte dann Herrn Querhammer auf, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Darauf erhob sich einer der Offiziere u. verlangte sofort eine allgemeine Diskussion. Die Versammlung bestand jedoch darauf, das zuerst Herr Querhammer gehört werden sollte. Währenddem erschien der russ. Kommandant von Ribnitz mit einem Dolmetscher. Der Kommandant verlas in russ. Sprache einen Befehl, der angeblich aus Rostock gekommen sei u. der, wie sich aus der Uebersetzung ergab, die sofortige Schließung der Versammlung verfügte. Herr Querhammer selbst wurde durch die beiden russ. Soldaten verhaftet u. abgeführt, die Ortsgruppe der CDU. wurde für aufgelöst erklärt, d.h. daß über ihren eingebrachten Wahlvorschlag nicht abgestimmt werden kann, da er ungültig ist. Das ist natürlich der Zweck der Uebung.
Abends kam auch Fritz aus Berlin zurück. Er war auch bei Hildegard Wegscheider gewesen, die ihm ebenfalls interessante Sachen erzählt hat. Die SPD hat kürzlich in Bln. eine Versammlung abgehalten. Vorher haben die Russen der SPD. 100.000 Cigaretten angeboten, wenn man darauf verzichten würde, über Korruktionen in der Berliner Stadtverwaltung zu sprechen. Das Angebot ist natürlich abgelehnt worden. – Zu der Geschichte mit der Verschleppung von Jugendlichen u. Kindern in Berlin u. Brandenburg, von der kürzlich der „Telegraph“ zu berichten wußte u. die dann von den Russen, bzw. der SED. heftigst abgestritten wurde, sodaß auch ich glaubte, es handele sich nur um ein Wahlmanöver, sagte Hildegard, daß der Telegraph 300.000 Namen von Kindern besäße, die verschleppt worden seien, jedoch könne der Telegraph nichts machen, weil sonst die Angehörigen der Kinder gefährdet sind. Auch Vera Wendt hatte gesagt, sie wüßte mehrere Jugendliche, die verschleppt worden sein u. könne sie mit Namen u. Adresse nennen. – Fritz ist auch bei Anneliese gewesen. Diese war in Blumberg bei Karl=Ernst Wendt. Er hat ihr erzählt, daß vor einiger Zeit zwei junge russ. Oftiziere bei ihm gewesen seien, ein Leutnant u. ein Oberleutnant, u. an ihn das Ansinnen gestellt haben, er solle in die SED. eintreten. Karl-Ernst hat das standhaft abgelehnt. Darauf sind die Offiziere zu einem anderen Pfarrer gegangen u. haben dort dasselbe versucht, indem sie diesem
Hans Brass: TBHB 1946-09-15. , 1946, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1946-09-15_001.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2024)