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Kategorien, die es nur in diesem verkümmerten Reiche der Wirklichkeiten gibt. Sie sind gewissermaßen die Entschädigung für die Aufgabe der Freiheit des nur Möglichen. – Es kann aber sehr gut sein, daß es auch dort irgend etwas wie ein überpersönliches Bewußtsein gibt –, ja, eigentlich muß es das geben, da sonst unser Bewußtsein ohne Entsprechung im Möglichen wäre – u. das kann nicht sein. Personlichkeit u. Bewußtsein, dieses „höchste Glück der Erdenkinder“, muß es notwendig auch im Reiche der Möglichkeiten geben, jedoch in einer Form, die uns nicht begreiflich ist. Diese Form muß dann etwas alle Begriffe Uebersteigendes sein, eine für uns nicht faßbare Seligkeit. –

     So ungefähr sehe ich den Tod an. Diese Anschauung entfernt sich freilich sehr von der christlichen Lehre vom Ewigen Leben, sofern man sich darunter eine einfache Fortsetzung des irdischen Lebens vorstellt, nur viel schöner u. ohne alle irdische Beengung. Eine solche Anschauung ist einfach Kitsch, es ist dieselbe Anschauung, die vom Bildenden Künstler eine naturalistische Darstellung der Wirklichkeit verlangt –, nur viel schöner. Aber man kann wirklich nicht sagen, daß diese Anschauung der christlichen Lehre vom Fortleben nach dem Tode entspricht, – es ist nur eine Auslegung dieser Lehre für – Spießbürger. Die christliche Lehre ist ja keine Philosophie, sie ist so allgemein u. großzügig gehalten, daß die Anschauung eines Dienstmädchens u. die eines Philosophen darin Platz haben –, u. das ist das Große an der christlichen Lehre. Sie ist tatsächlich weit großzügiger als die Jüdische u. die Mohammedanische Lehre, welche ja beide eine Fortsetzung u. Steigerung irdischen Glückes lehren. Nur der Buddhismus kommt der christlichen Lehre nahe, aber er ist eine Lehre für Philosophen, wobei unter einem Philosophen nicht ein Akademiker gemeint ist. Auch der Schuster Jakob Böhme aus Schlesien war ein Philosoph –, ein weit größerer als die meisten unserer Akademiker. –

     Aber genug für heute! –

Mittwoch, 4. März 53.     

     Gestern Abend ereignete sich etwas sehr Aufregendes. – Frau Vogel erschien etwa um ein Viertel vor 8 Uhr u. erzählte, daß soeben bei ihr telephonisch angerufen worden sei. Eine weibliche Stimme habe ihr gesagt, daß es dringend zu raten sei, ihr Mann möge sofort verreisen, möglichst noch am gleichen Abend. Frau Vogel hat gefragt, wer denn dort sei u. wieso ihr Mann verreisen sollte, worauf die Stimme erwidert hat, sie könne ihren Namen nicht nennen, sie sei eine Deutsche aus der demokrat. Justizverwaltung. Sie setzte hinzu: „Es verreisen ja jetzt so viele.“ – Nun, das Ergebnis dieses

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Hans Brass: TBHB 1953-03-03. , 1953, Seite 004. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1953-03-04_001.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2024)