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Seite:HansBrassTagebuch 1953-12-29 002.jpg

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verkehrt angewendet. Daß ich im Kadettencorps falsch erzogen wurde, dafür kann ich nicht verantwortlich gemacht werden u. auch dafür nicht, daß mein Start in meinen künstlerischen Beruf so kümmerlich vor sich ging, dafür trifft die Verantwortungslosigkeit meines Vaters die ganze Schuld. Und daß ich nachfolgende Zeit so wenig gut verwendete, dafür war wieder die Verkehrtheit der voraufgegangenen Zeit größtenteils verantwortlich. Ich war so schlecht u. so verkehrt erzogen, daß ich mit völlig falschen Voraussetzungen in's Leben ging u. nur immer Fehler über Fehler machte. So ist die Hälfte meines Lebens hingegangen, indem ich mühsam ablegen mußte, was mir törichterweise beigebracht worden war. Und dann, nach 1918, als die Möglichkeit eines neuen Anfanges gegeben war, wurde auch diese durch die Liquidierung des Voraufgegangenen beschattet. Immerhin hätte ich da noch mein Leben neu bauen können, wenn ich nicht in die Hände dieser Frau Wegscheider gefallen wäre. Nietzsche sagt im Zarathustra etwa: „Es ist furchbar, in die Hande eines brünstigen Weibes zu fallen!“ Jawohl, es ist furchtbar u. ich bin von dieser Frau völlig ausgesogen worden; aber dafür kann ich niemanden verantwortlich machen, als nur mich selbst. – Die Reue darüber quält mich zuweilen sehr. Sehr viele meiner Kollegen aus der Novembergruppe sind heute irgend etwas. Sie sind zwar größtenteils viel weniger künstlerisch begabt wie ich selbst u. was sie leisten, ist meist nichts Besonderes, aber sie haben sich doch wenigstens eine gesicherte, soziale Position errungen. Ich dagegen bin der Ehemann einer jungen Frau, Vater eines reizenden Kindes, aber künstlerisch bin ich so gut wie eine Null. Wenn ich die Bilder an den Wänden meines Ateliers betrachte, so finde ich nicht, daß sie eine epochemachende große Sensation sind. Ich mache nichts wirklich Neues, Originelles im Sinne wie die Großen, etwa Picasso oder andere; aber was ich mache ist gut, meine Bilder haben künstlerische Kultur, sie sind ernsthaft u. verantwortungsvoll u. sind besser als manche anderen derer, die heute einen großen Namen haben u. sich breit spreizen. Und doch bin ich eine Null, denn niemand kennt u. sieht diese Bilder, es ist so als ob sie garnicht existierten. – Bin ich nun dafür verantwortlich? – Nein! – Man kann nicht von mir verlangen, daß ich meine Bilder selbst verhökere, man kann von mir nichts verlangen, wofür ich nun einmal keine Begabung besitze. Man kann nicht von mir verlangen, daß ich die Verkehrtheit meiner ganzen Erziehung u. meines ganzen Lebens einfach verleugne u. jetzt etwas können soll, was ich nie im Leben gekonnt u. auch nie gelernt habe nämlich, meinen eigenen Vorteil wahrzunehmen. Es ist schlimm, daß Elisabeth dies nicht für mich tut. Ich hatte das erwartet u. sie selbst hatte mich das auch hoffen lassen.

Empfohlene Zitierweise:
Hans Brass: TBHB 1953-12-31. , 1953, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1953-12-29_002.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2024)