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Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s

Worte. „Reitstiefel trägt man,“ fuhr er nach einiger Zeit lauter fort, „warum bringt man nicht gleich den Gaul mit?“

In diesem Augenblicke wurde Tautau durch dumpfe Trommelschläge abgerufen. Der Weitgereiste richtete sich langsam auf und sagte mit überlegener Ruhe, bemessen leise zu seinem Nachbar: „Junger Herr, Sie sind grundlos unartig oder eifersüchtig.“

„Ich eifersüchtig?“ – Walter senkte unvermutet den Kopf, biß sich auf die Lippen und flüsterte dann seltsam kleinlaut: „Ich schäme mich doch.“

Diese vorzügliche Erziehung verratende Äußerung der Zerknirschung mochte wohl das Mitgefühl des älteren Herrn erweckt haben, denn er reichte, wie kameradschaftlich, seine Rechte hin und entgegnete herzlich, als wollte er ein zu schroffes Wort wieder gutmachen: „Nun, wenn Sie so sprechen, dann wollen wir alles vergessen und uns vertragen.“

Walter ergriff aber nicht die dargebotene Hand. Er entfernte sich stumm ohne Gruß, bahnte sich hastig einen Weg durch die Zuschauermenge und lief heimwärts, durch die stille Laternenallee, lief in etwas gebeugter Haltung und mit schlürfenden Schritten durch die schwarze Gasse nach Hause.

Wer würde künftig ihm aus Liebe Hosen bügeln?


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Hans Bötticher (Joachim Ringelnatz): Ein jeder lebt’s. München: Albert Langen, 1913, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hans_B%C3%B6tticher_Ein_jeder_lebts_050.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)