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Lorenz Oken (Hrsg.): Isis


ISIS

oder
Encyclopädische Zeitung.
I. 10. 1817.


Erstens sind die Grundlagen der Stände-Einrichtung völlig verfehlt.

Die Grundlagen sind ohne Zweifel die Glieder des Staats. Nun werden als solche aufgeführt: 1) Rittergutsbesitzer; 2) Städter als Bürger, 3) Bauern, die also nicht Bürger wären.

Nun fragen wir einmal: Wie in aller Welt unterscheidet sich ein Rittergutsbesitzer (wenn auf den Adel nicht Rücksicht genommen wird) von einem Bauern? Etwa weil das Gut größer ist? Das ist nicht immer der Fall, und wenn auch, Scholle ist Scholle, und jener treibt seine Knechte nnd Pferde wie dieser. Welche Unterschiede ihr auch herausgrübeln möcht, so werdet ihr uns doch eingestehn, daß ihr keinen andern wißt, als die verschiedene Bildung: also der Rittergutsbesitzer ist ein Mensch vom gebildeten Stand, und darum nicht eins mit dem Bauer. – Da wollten wir euch haben, und wir bleiben fürs Erste dabey stehen: die Rittergutsbesitzer machen einen von den Bauern besondern Stand aus, nicht weil sie adelich sind, nicht weil ihre Güter größer sind, also weder wegen Geburt noch wegen des Besitzes; sondern weil sie gebildeter sind, weil sie also ein anderes, geistiges Geschäft haben als der Bauer.

Das gebt ihr also jetzt schon zu, daß nicht der Boden, und nicht die Art des leiblichen Erwerbs den Unterschied der Stände bestimmt, daß die Stände im Staat Attribute der Menschen, des menschlichen Geistes sind, nicht Attribute des Schluckens und Verdauens, noch weniger des vesten Besitzes, welcher [74] Wahn nichts weiter ist als ein Schwanz des Lehnwesens, dem die Scholle das Principale gewesen, der Geist das Accessorium. Schämen wir uns denn nicht, unterm Mantel solche Schwänze nachzuschleppen, während wir uns rühmen, nur den Geist gelten zu lassen?

Dann fragen wir ein andermal: Wie in aller Welt unterscheidet sich der Städter vom Bauer? Etwa weil jener um sein Haus eine Mauer gehabt hat? Oder weil jener ein Handwerk kann, dieser nicht? Gebt Acht, daß ihr nicht schon wieder in die Schlinge tappt. Macht das Handwerk den Unterschied, so ist es also wieder nicht der Ort, nicht die Ernährungsart, sondern wieder die verschiedene Bildung des Geistes. Aber sehen wir etwas genauer zu, so verschwindet auch dieser Unterschied gänzlich. Der Schuster, Schmidt, Weber, Maurer u. s. w. wird Lehrjung, der Bauer Viehjung, der Lehrjung wird Gesell, der Viehjung Knecht, der Gesell wandert, der Knecht dient, der Gewanderte wird Meister und nimmt eine Frau, der Gediente wird Bauer und macht es weiter nicht schlechter. Jener hat also mauren gelernt, dieser den Acker bauen. Welches fordert wohl mehr Lehrjahre, welches mehr Kopf, welches mehr Ueberlegung, ja welches mehr Kenntnisse? Ihr verstummt, und damit fällt der Unterschied zwischen Handwerker und Bauer, mithin zwischen Stadt- und Land-Bewohner.

Das also wären eure Grundlagen in unserer Verfassung! Stände, gegründet auf die Größe und die Lage des Bodens! Also Bodenstände, nicht

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Lorenz Oken (Hrsg.): Isis. Brockhaus, Jena 1817, Seite 73–74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Isis_1817_37.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2018)