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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

451–495 von den gallizischen Karpathen herein. Mit ihnen kamen noch andere Stämme, welche eine Reihe einzelner Fürstenthümer bildeten. Erst Samo vereinigte dieselben zu einem Ganzen, und vertrieb mit ihrer Hülfe nicht nur die Awaren aus Böhmen, sondern eroberte auch alle anliegenden slawischen Länder. Die frühere Geschichte des Landes ist meist Sage; erst die Kriege Karls des Gr. bringen einiges Licht in sie. Das Christenthum findet zuerst 844 einige Bekenner, 871 lässt sich in Mähren der Fürst Borżiwoj selbst taufen; so kam vom Westen die lateinische, vom Osten die slawische Liturgie fast gleichzeitig in das Land und beide bestanden lange neben einander. §. 40. Der Name Czech ist sehr alt; aber keine der bisher versuchten Erklärungen genügt. Die übrigen Volksnamen zeugen für so viele verschiedene Völkerschaften, welche hier neben den Czechen wohnten, und woraus allein sich die verschiedenen fremdartigen Sprachformen im Altböhmischen erklären lassen.

 9. Abschnitt. Von den Mährern und Slowaken. In den ältesten Zeiten hatten beide Völkerschaften eine Geschichte; damals scheint die Gränze des czechischen und slowakischen Sprachdialektes mitten durch Mähren gegangen zu sein, so dass es die jetzige mährische Mundart gar nicht gab; auch nennen sich noch bis zur Stunde die südöstlichen Bewohner Mährens „Slowaken.“ Erst der Fall des grossmährischen Reiches machte Mähren zu einem besondern Lande. Die Geschichte beweiset, dass die Slawen in Mähren, Nordungarn, so wie die in Oestreich und der obern Donau von Einem Stamme waren. Unter Karl dem Gr. gaben sie sich sammt ihren feindseligen Nachbarn, den Awaren, in den Schutz des fränkischen Reiches und erhielten so allmählig das Christenthum. Der grossmährische Fürst Rastislaw errang zuerst wieder die Unabhängigkeit, und war der grösste und verdienstvollste slawische Fürst des IX. Jahrhunderts. Ihn übertraf noch Swatopluk an Macht und Ansehen; allein seine Streitigkeiten mit den Franken veranlassten diese zu seiner Demüthigung die wilden Magyaren herbeizurufen, die auch in der Schlacht bei Pressburg (907) das grossmährische Reich für immer vernichteten. Das Christenthum kam in diese Länder von den Bisthümern Salzburg und Passau, und zwar nach dem Ritus der römischen Kirche; Rastislaw rief aber schon 863 die beiden Slawenapostel Cyrill und Methodius herbei, deren Wirksamkeit mit schönen Worten geschildert ist. §. 42. Den Kern des mährischen Reiches bildete das ganze heutige Mähren, und ein Theil Oestreichs, dann das ungarische Slawenland von der Mündung der Morawa bis an den Torys (Toreza). Die slawische Eintheilung des Landes unter einzelne Fürsten war gewiss auch hier gebräuchlich, wenn sich auch kein bestimmtes Zeugniss dafür vorfindet; die jetzigen ungarischen „Gespannschaften“ scheinen nur Ueberreste der alten Żupen zu sein.

 10. Abschnitt. Die Elbeslawen. In dem von der Oder und dem Riesen-, Erz – und Fichtelgebirge nordwestlich liegenden Landstriche wohnten ehedem drei slawische Hauptvölker: die Luticen oder Weleten; die Bodricen und die Serben (Wenden). Schafarik fasst sie unter dem Namen: Elbeslawen, zusammen. Sie kamen von der Weichsel, der westlichen Düna und der Berezina über die Oder her in's Land. Diess geschah im Verlaufe der zweiten Hälfte des V. und der ersten des VI. Jahrhundertes, und zwar mit gewaffneter Hand (die Meinung Thunmanns und Gebhardi's, als seien sie als Colonisten berufen worden, ist vollständig widerlegt). Unter Karl dem Gr. fangen die wüthenden Vernichtungskriege der Deutschen gegen die Elbeslawen an, welche letztere wegen ihrer Uneinigkeit nach beinahe 4 Jahrhunderten gänzlich erlagen. Allein er selbst hat sie keineswegs unterjocht, sondern sie nur als Oberherr regiert. Aber selbst das war den Freiheitsdurstigen zu viel. Schon unter Ludwig 844 erhoben sie sich und erkämpften ihre Freiheit. Erst die sächsischen Kaiser konnten sie wieder dauernd an sich ketten. Unter ihnen wurden sie auch zur Annahme des Christenthums gezwungen (960). Allein schon nach anderthalb Dezennien wurden wieder alle Spuren desselben vernichtet; 983 erfolgte ein allgemeiner Aufstand aller Elbslawen; die Macht der Deutschen wurde gebrochen auf lange Zeit, bis in's XII. Jahrh.

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/111&oldid=- (Version vom 30.8.2018)