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wehmüthigsten Klagen und bittersten Vorwürfe aus. In neueren Zeiten, wo es bei manchen Schriftstellern Sitte geworden ist, die Reformation als unberechtigt, als Revolution und willkührliche Auflehnung gegen göttliches und menschliches Recht zu schildern, sucht man diesen Vorwurf abzuschwächen und die Ueberschreitungen der Geistlichkeit als vereinzelt und von den Gegnern übertrieben darzustellen. Wir werden die Falschheit dieser Annahme beweisen.

Das sittliche Leben der Geistlichen ist eine mächtige Wehr gegen die Angriffe auf die Lehre. Nicht nur wahre Tugend, sondern auch äußere Unanstößigkeit des Wandels ist ein starker Schutz. So lange die katholischen Geistlichen leidlich tugendhaft lebten, wurden alle Angriffe auf ihre Lehre zu Schanden. Es sind vor Luther genug Reformatoren aufgestanden, ihre Bemühungen sind vergeblich gewesen, sie kamen zu früh. Es giebt elf gedruckte deutsche Bibelausgaben vor der lutherischen – sie sind ohne ersichtliche Wirkung geblieben, die Zeit war nicht reif. Es ist nicht genug, daß ein großer Mann oder eine große That kommt, sie muß auch im rechten Augenblick kommen. Der Anfang des 16ten Jahchunderts ist die Zeit, in welcher die Geistlichen sowohl in der Entstellung der Lehre, wie in der Entartung des persönlichen Lebens den Höhepunkt erreichten. Aber gerade dies Untergehn in den schreiendsten Lastern, welches die Reformation hier antraf, machte ihr den Sieg leicht. Wie eine faule Frucht fiel der Katholicismus vom Baum, als der frische Wind den Stamm rüttelte.

Eine verworfenere Gemeinschaft, als die Geistlichkeit unserer Provinz in jener Zeit ist nicht wohl denkbar. Ein hartes Wort, aber wir werden die Wahrheit desselben darthun.

Der letzte katholische Erzbischof dieser Provinz war Christoph, ein geborner Herzog zu Braunschweig und Lüneburg. Sinnliche Lust war das allgemeine Laster der Zeit, aber der Bischof überbot darin seine Zeitgenossen. Neben zahllosen vorübergehenden Verbindungen unterhielt er beständig drei Concubinen, in Bremen, Verden und Rotenburg. Er huldigte ihnen mit unerhörter Rücksichtslosigkeit. Im Jahre 1522, also zu einer Zeit, wo Luther’s

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 094. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_094.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)