Seite:Lucians Werke 0185.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

2. Polyphem. Ich traf ihn, als ich von der Weide heimkehrte, in meiner Höhle, und mit ihm noch viele Andere, bei denen es, allem Anscheine nach, auf meine Schafe abgesehen war. Denn wie ich vor den Eingang das große Felsstück, das mir zur Thüre dient, vorgeschoben, und mit einem vom Berge mitgebrachten Baume das Feuer angemacht hatte, merkte ich wohl, wie sie sich zu verstecken suchten. Da packte ich ein Paar von ihnen und fraß sie auf, wie billig, da sie Räuber waren. Hierauf schenkte mir der vermaledeite Schurke, der Utis oder Ulysses, wie er hieß, ein gar süßes und duftendes, aber ein verhextes, tückisches und sinneverwirrendes Getränk ein. Denn kaum hatte ich getrunken, so gieng Alles mit mir im Kreise herum, die Höhle stand umgekehrt, kurz ich war gar nicht mehr bei mir selbst. Endlich verfiel ich in einen tiefen Schlaf, und Jener spitzte inzwischen einen Pfahl, machte ihn glühend, und stieß ihn mir in’s Auge. Und seit diesem Augenblicke bin ich blind, Neptun.

3. Neptun. Aber wie tief mußtest du geschlafen haben, mein Sohn, daß du nicht aufsprangst, ehe du gänzlich geblendet warst? Und Ulysses – wie konnte denn der entkommen? Denn daß er das Felsstück vor dem Eingange nicht wegschieben konnte, weiß ich zu gut.

Polyphem. Ich selbst habe es weggenommen, um ihn desto sicherer beim Hinausgehen zu erwischen. Ich setzte mich neben den Eingang, tappte mit ausgestreckten Händen herum, und ließ niemand hinaus, als meine Schafe, die auf die Weide gingen: dem Widder aber gab ich Befehle, was er anstatt meiner zu thun hätte.

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0185.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)