Seite:Lucians Werke 0455.jpg

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Bürschchen schielest. Die umstehenden Bedienten der Gäste bemerken recht gut dein blödes, betretnes Wesen; sie machen sich über die Unbehülflichkeit lustig, mit welcher du dich bewegst; und da dir sogar das vor dir liegende Handtuch etwas ganz Neues zu seyn scheint, so wird daraus der natürliche Schluß gezogen, du habest dein Tage nie bei einem vornehmen Herrn gespeist. Was Wunder, wenn du inzwischen vor lauter Verlegenheit die hellen Tropfen schwitzest, und, so durstig du bist, doch das Herz nicht hast, Wein zu verlangen, um für keinen Trinker angesehen zu werden. Eben so wenig wagst du es, von den vor dir stehenden, und in geschmackvoller Ordnung aufgestellten Speisen Etwas anzurühren, weil du nicht weißt, mit welcher Schüssel der Anfang gemacht werden muß, Es bleibt dir also nichts übrig, als nach dem Nachbar zu schielen, ihm Alles nachzumachen, und so zu lernen, wie die Theile der Mahlzeit auf einander folgen.

16. Uebrigens wirst du durch die mannigfaltigen Eindrücke und Vorstellungen, welche deine Seele durchkreuzen, in die größte Gemüthsunordnung und wirklich in eine Art Betäubung versetzt. Bald denkst du: wie glücklich ist doch dieser reiche Mann in Mitten seines Goldes, seines Elfenbeins und aller dieser Herrlichkeit! Bald kommt es dir erbärmlich vor, wie ein Mensch wie du, der doch so gar Nichts ist, sich einbilden kann, sein Daseyn auf der Welt heiße auch Leben. Bisweilen aber fällt es dir doch wieder ein, dir die beneidenswerthesten Tage zu versprechen, da du das Alles mitgenießen und an Allem gleichen Antheil haben wirst: denn du meinest, so wie heute, würden hinfort alle Tage

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0455.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)