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Der Cyniker.
Der Cyniker und Lycinus.

1. Lycinus. Was willst Du denn damit, mein Freund, daß Du Haare und Bart wachsen lässest, ohne Unterkleid und Schuhe in der Welt umhergehest, ein unstetes, ungeselliges, bestiales Leben führest, und statt Deinen Leib zu pflegen, wie andere Leute thun, ihn kasteyest und die Nächte auf der harten Erde zubringst, wie man an dem vielen Schmutze Deines rauhen, groben und mißfarbigen Mantels sieht?

Cyniker. Ich brauche keinen anderen Mantel. Ein solcher ist am leichtesten zu haben, und für seinen Besitzer am wenigsten unbequem. Er genügt mir also. Sage mir doch in aller Welt, glaubst Du denn nicht, daß eine üppige Lebensweise eine fehlerhafte ist?

2. Lycinus. Allerdings glaube ich es.

Cyniker. Daß hingegen eine genügsame löblich ist?

Lycinus. Auch dieß.

Cyniker. Nun denn, da Du siehst, daß ich genügsamer lebe, als die Anderen, Diese hingegen üppiger, warum tadelst Du mich, und nicht diese?

Lycinus. Weil ich glaube, daß Du nicht genügsamer, sondern dürftiger als die Andern, oder vielmehr recht armselig und elend lebst. Denn Du unterscheidest Dich in Nichts vor dem Bettler, der um sein tägliches Brod bittet.

Empfohlene Zitierweise:
Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 1800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_1800.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)