Seite:Märchen (Montzheimer) 134.jpg

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Erdfahl vor Schrecken hatte die Untreue alles gesehen und gehört. Da trat die Treue hervor, deren schöne blaue Augen die einstige Pflegeschwester sowie auch die Kinder fest anblickten, während sie sprach:

„Seht, welch treue zweite Mutter,
Die voll Mut ihr Leben wagte,
Um zwei Kinder zu erlösen!
Tief im Grund des Nixenteiches
Lag der goldne Reif begraben,
Der als Lösungspreis erkoren.
Ihren goldnen Patenbecher
Gab sie hin als Opfergabe, –
Doch war Nixe unersättlich,
Heischte auch die goldnen Haare,
Und zuletzt sie gleich dem Vampyr
Selbst ihr Herzblut noch begehrte.“

Kein Wort wagte die Untreue zu erwidern, sie sank wie vernichtet in sich zusammen, als die Treue mit erhobener Stimme fortfuhr:

„Untreu sein,
Schafft nur Pein,
Bringt manch Leid und Schmerzen,
Friedlos macht’s die Herzen.
Aber Treu’
Schenkt stets neu
Glück und Ruh hienieden,
Und gibt Herzensfrieden!“

Jubelnd dankten Rainer und Sitta dem treuen Stiefmütterchen und ihrer Gefährtin, beiden aufrichtig Besserung gelobend.

Glückselig, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, schritten alle vier bei dem ersten Morgenstrahl durch den Wald.

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_134.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)